Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
Vom Netzwerk:
eingezogenem Kopf in die Halle, und da standen sie, Bill und Ruthie. Wie wir uns begrüßt, worüber wir uns unterhalten haben, weiß ich nicht mehr genau, aber beide kamen freundlich rüber. Ich mochte sie auf Anhieb. Bill meinte, er hätte noch nie jemanden gesehen, der so angezogen war wie ich, aber es hörte sich fast wie ein Kompliment an. Wir stiegen ein und fuhren los. »Deine Stimme ist so sanft«, meinte Ruthie. »Und du schwätzt nicht«, sagte Bill. Er hatte eine gute Ausstrahlung, man spürte sie sofort, die Aura, die ihn umgab, wohltuende Strahlen. Wir tranken irgendwo ein Bier und fuhren schnurstracks zu Ruthie. Sie ließen sich gerade scheiden. »Mit Ruthie ist Schluss«, hatte er mir geschrieben, »neun Jahre hat sie sich mit meinem Dreck & meiner Kotzerei & meinem Dope abgefunden, dann ging’s nicht mehr.«
    Um zwei lief etwas an der Uni, das zur Show gehörte. Ich fuhr mit, wurde ein paar Studenten vorgestellt, dann ging’s wieder zu Ruthie. Die Lesung war um acht. Wir tranken Bier, und mir fiel auf, dass Bill eher zuhörte, als dass er redete, genau wie ich. Also ging es still zu, aber nicht so still, sondern angenehm – kein Druck, kein Drängen, keine Megaphone. Für ein Weilchen fuhren wir zu Bills Bude im Kneipenviertel. Er hatte eine Oberstockwohnung über der Bloomington Gun in der Main Street von Bloomington. Hell und geräumig. Ein guter Ort zum Schreiben, wie es aussah. Dann zurück zum Haus. Ich bestand auf mehr Bier. Der für die Lesung zuständige Professor kam; er war enthusiastisch, kindisch, aber sympathisch; überschwenglich, aber aufrichtig. Bill bot mir im Flur ein paar Tabletten an, doch ich lehnte ab: »Schlimmer Magen, Junge, den zerreißt das.« Der Professor riet mir, nicht mehr so viel zu trinken, dann fuhren wir essen. Ich schlug was vor, wo man auch Bier bekam. Während der Besprechung und Planung spürte ich Bills Präsenz stark, er war immer da mit seiner Ausstrahlung, gute, dichte Strahlen erster Güte, Kraft , wenn man so will. Er drückte sich einfach aus, aber alles, was er sagte, hob das Spiel aus dem Dreck heraus, brachte es auf eine angenehm menschliche Ebene. Es gibt tausend Möglichkeiten, kleine Spitzen aus Hass, Vorurteilen, Spinnerei, Neid und Eifersucht loszulassen; Bill tat nichts dergleichen. Ich will keinen Gott aus ihm machen; er war einfach ein guter Mensch, und ich mochte ihn, sehr sogar.
    Wir schafften’s zur Lesung, ich las, wir kehrten zum Haus zurück. Einige Zuhörer kamen mit. Studenten, etliche Professoren, Unbekannte. Es gab zu trinken. Die Studentinnen waren reizend, sämtliche Fallstricke vorhanden. Nach einer Lesung atme ich immer auf; für mich ist das Drecksarbeit, die ich runterreiße. Ich becherte heftig, die Erleichterung durchströmte mich, und ich kam ins »Schwätzen«. Das wurde erwartet, es gehörte zum Ablauf, aber es war das Leichteste daran – mein Geld hatte ich schon. Ich zog über die Literaturszene her … »Ach ja, haben Sie Lawrence gelesen? Nein, nicht Josephine, nicht den Mann aus Arabien, sondern den, der Kühe und Frauen gemolken hat …« Und so weiter. Das bewahrte mich davor, Fragen zu mir selbst beantworten zu müssen. Einmal im Lauf des Abends streckte ich die Hand aus und packte Bill bei den Haaren: »Und der verschissene Junkie hier, was bringt der?« Es wurde still. »Na ja«, sagte ich, »ein Gedicht von Bill hat mir echt eine Gänsehaut beschert … ich meine das, Bill, wo dein Mädchen ein paar Sachen abziehen will, damit du mit ihr kannst, und du wirst sauer, du heulst, und sie sagt: ›Nicht weinen, Junge, das ist doch ganz normale Bauernfängerei.‹« Dann gingen wir zu anderen Sachen von Bill über, und alle fühlten sich wohler …

    Am Morgen musste Ruthie arbeiten, also waren Bill und ich allein im Haus. Bill hatte einen schlimmeren Kater als ich. Beide wagten wir ein warmes Bier, dann schlug ich vor, es mit weichgekochten Eiern zu versuchen. Bill ließ sie zu lange drin. Nach dem Essen hörte ich ihn plötzlich auf den Hof rennen, wo er »Bukowski« sagte und sich übergab. Seine körperliche Verfassung war schlecht. Schließlich brachte er etwas in Milch aufgeweichtes Brot runter. »Wir sollten uns schonen, Junge«, meinte ich zu ihm, »ich habe vor, bis zum Jahr 2000 zu leben.« »Mensch, ich auch«, sagte er, »ich hab geträumt, dass ich im Jahr 2000 sterbe.« Er wusste sogar auf die Minute genau, an welchem Tag. Ich ließ mir ein Bad ein; ein warmes Bad hilft mir, wenn’s mir

Weitere Kostenlose Bücher