Das weiße Amulett
erheblich besser.« Langsam folgte er ihr zum Pförtner. Der Name Alexander war diesem vorab angekündigt worden, aber Mansfield warf er einen prüfenden Blick zu, ehe er zum Telefonhörer griff und ihre Ankunft im Sekretariat meldete.
»Es wird gleich jemand kommen, der Sie zum Rektor führt«, sagte er und deutete mit einem Kopfnicken an, dass sie in den Hof gehen konnten.
Karen sog den Anblick der alten Sandsteinfassaden in sich auf. Sie befanden sich im Innenhof der Sorbonne, einer der ältesten Universitäten Europas, dem Traum eines jeden Studenten. Sie atmete Geschichte und sah nach rechts, wo die weiße Kuppel der Chapelle de la Sorbonne, dem Grabmal Richelieus, sich stolz in den Himmel erhob. Davor standen zwei Statuen von Louis Pasteur und Victor Hugo, die Karen nachdenklich anblickten. Der Kapelle gegenüber erstreckte sich ein großartiger Arkadengang über die ganze Front des Gebäudes, doch Karen blieb kaum Zeit für diese Eindrücke, denn nach wenigen Minuten kam schon ein Student und brachte sie in die heiligen Büros des Rektors. Vorher wurden sie jedoch von einem anderen Mann abgefangen, der ihnen auf halbem Weg entgegenkam.
»Ah, Madame Alexandre. Bonjour. Ich bin Olivier Escard, Monsieur Artois’ Privatsekretär.« Er reichte beiden die Hand, wobei er Mansfield irritiert anblickte.
Monsieur Escard war etwa zehn Jahre älter als Mansfield und trug einen perfekt sitzenden graublauen Anzug, der ihn von anderen Menschen der Sorbonne abhob. Seine grauen Augen waren wachsam und erwartungsvoll auf die beiden Besucher gerichtet.
»Ich hatte nur mit Ihnen gerechnet, Madame. Wollen Sie mir nicht Ihren Begleiter vorstellen?«
»Aber sicher. Monsieur Escard – Michael Mansfield. Ein … ein Freund aus New York. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, dass er mitgekommen ist.«
Der Sekretär hatte das leichte Zögern in Karens Stimme durchaus bemerkt, als sie ihn als einen Freund bezeichnete. Er musterte Mansfield.
»Wie gefällt es Ihnen in Paris, Monsieur?«
Mansfield war der strenge Blick des Sekretärs nicht entgangen. Er hatte das Gefühl, als ob jedes seiner Worte auf die Goldwaage gelegt werden würde.
»Großartig. Ich bin zwar erst seit Montag hier und habe noch nicht viel gesehen, aber zu dieser Jahreszeit ist die Stadt einfach bezaubernd. Wir Amerikaner träumen von Paris.«
Escard nickte zufrieden. »Richtig, doch Sie sollten lieber im Frühling kommen, dann ist unsere Stadt noch viel schöner.« Er führte sie beide durch einen kleinen Flur und klopfte kurz gegen eine reich verzierte Ebenholztür, die im oberen Bereich stolz das »S« trug.
Durch das dicke Holz drang ein gedämpftes »Oui«. Escard öffnete die schwere Tür und überließ Karen und Mansfield den Vortritt. In dem großen holzvertäfelten Büro saß ein Mann Anfang sechzig mit dünnem weißem Haar hinter einem mächtigen mit Pflanzenornamenten versehenen Mahagonischreibtisch. Der Rektor erhob sich, als seine Gäste eintraten.
»Madame Alexandre.« Auch Mansfield warf er einen freundlichen Blick zu. »Monsieur. Ich bin zutiefst erfreut, Sie endlich kennen zu lernen.«
Beiden fiel auf, dass der Rektor mit der Herzlichkeit seiner Begrüßung keinen Unterschied zwischen ihnen machte. Er schien sie beide erwartet zu haben. Er reichte ihnen die Hand und zeigte auf zwei Holzstühle, die für so manchen Besucher der vergangenen hundert Jahre ihren Dienst getan hatten. Monsieur Artois setzte sich hinter den Schreibtisch in einen Lehnstuhl und betrachtete Karen mit familiärem Blick. Seine Hände lagen gefaltet auf seinen schlanken Beinen.
»Sie sind also das Patenkind meines alten Freundes Julius«, sagte er und lächelte geheimnisvoll, als wüsste er mehr über sie, als ihr recht war. Dann wandte er sich direkt an Mansfield.
»Und Sie, Monsieur? Sie sind ihr Begleiter?«
Mansfield schluckte, als er sich eines prüfenden, aber auch gutmütigen Blickes des Rektors erwehren musste. In den Augen des Mannes lag eine Tiefe, die etwas Unheimliches hatte.
»Ich bin Michael Mansfield, Monsieur le Recteur. Ich bin … ein Freund von Madame Alexandre«, erwiderte auch er leicht zögernd.
Der Rektor nickte wohlwollend. »Formidable. Und Sie sind beide hierher gekommen, um sich um den alten Fall von Prof. Bernardt zu kümmern?«
Karen räusperte sich. »Deswegen bin ich hier, Monsieur Artois. Es wäre nett, wenn Sie mir Einsicht in die vorhandenen Unterlagen und Bücher des Professors gewähren würden, die sich in der Bibliothek der
Weitere Kostenlose Bücher