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Das weiße Amulett

Das weiße Amulett

Titel: Das weiße Amulett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathinka Wantula
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der Nationalbibliothek zu holen. Da Monsieur Vernault, der Hauptbibliothekar, jedoch selbst nach sieben Jahren immer noch nicht meine studentische Bemerkung über zu harte Sitzbänke verziehen hatte, musste ich über eine halbe Stunde im Vestibül auf die Exemplare warten. Und damit nicht genug. Nein, Monsieur Vernault ließ es sich nicht nehmen, mir die Bücher mit einem höchst arroganten Blick zu überreichen, dass ich mich sehr beherrschen musste, um seinem makellosen Gesicht nicht einige Ecken und Kanten zu verleihen. Allerdings hätte mich das wohl dazu gezwungen, Paris zu verlassen, was meinem Ziel abträglich gewesen wäre. Eine wissenschaftliche Karriere in Paris bedeutet mir viel, und eine Professur an der Sorbonne war der Traum meiner Kindheit. Kein Geld der Welt kann mich davon abbringen, und kein Mensch wird mich daran hindern. Auch kein Monsieur Vernault. Bei den Büchern, die ich für Bernhardt besorgt hatte, ging das eine um die jüngsten Ausgrabungen von Victor Loret in Ägypten, und das andere war ein neuer Band von Hopkins, der in seiner englischen Muttersprache geschrieben war, was für den Professor aber kein Hindernis darstellte. Als ich ihm die Bände gab, sah er sie geistesabwesend an, als hoffte er, sie mögen ihm ein Geheimnis verraten. Ich wagte zu fragen, seit wann er sich für die Ausgrabungen in Ägypten interessiere, und da griff er in seine Hosentasche und zeigte mir ein kleines weißes Amulett. Es war nur etwa sieben Zentimeter lang und sah aus wie ein stilisierter Pfahl mit vier farbigen Querlinien am oberen Ende, aber besonders hübsch und wertvoll fand ich es nicht. Ich fragte Bernhardt, welche Bedeutung das Amulett habe, doch er wusste es nicht. Deswegen habe er nach dem Loret-Buch geschickt. Und plötzlich fragte er mich, ob ich noch wisse, wann ich das Paket an Hopkins abgeschickt hätte. Ich überlegte kurz und sagte, dass es am Donnerstag vor drei Wochen gewesen sein müsse. Sei es etwa entzwei angekommen? Nein, antwortete Bernhardt. Es sei merkwürdig, aber er habe heute Morgen einen Brief von Hopkins erhalten, in dem er ihm mitteile, dass das Päckchen ihn noch nicht erreicht habe. Ich war entsetzt und überlegte, ob ich einen Fehler begangen haben könnte, doch dem war nicht so. Bernhardt bemerkte mein erschrockenes Gesicht und meinte, ich solle mir keine Vorwürfe machen, wahrscheinlich sei es auf dem Postweg verschwunden.
    Freitag, 13.9.1907
    Bernhardt erzählte mir heute, dass er das Gefühl habe, von jemandem verfolgt zu werden. Ich fragte ihn, ob er wisse, von wem, ob er eine Ahnung habe. Nein sagte er, er habe keine Feinde in Paris. Er konnte es sich nicht erklären.
    »Michael!«, rief Karen mit hohler Stimme, als würden ihre Stimmbänder ihr nicht mehr gehorchen. Mansfield hob den Kopf. »Was gibt’s? Hat er zugegeben, den Professor umgebracht zu haben?«
    »Nein! Bernhardt hatte auch so ein Djed-Pfeiler-Amulett wie ich«, stieß sie atemlos hervor. »Und jemand hat ihn verfolgt.« Mansfield setzte sich gerade hin. »Einen weißen DjedPfeiler mit stilisierter Feder? So wie der, den der Fremde an der Metrostation verloren hat? Nun, vielleicht gibt’s ja mehr davon. Und der Professor wurde vom Assistenten verfolgt?«
    »Nein, von jemand anderem.«
    »Behauptet Lescot.«
    »Ja. Warum sollte er in seinem eigenen Tagebuch lügen? Damit die Polizei es findet und diese Aussage ihn entlastet?«
    »Möglich. Immerhin scheint das Buch ja von der Polizei als Beweismittel benutzt worden zu sein. Oder wie ist es sonst im Kriminalmuseum gelandet?«
    »Ich weiß es nicht«, gestand Karen, zog die Beine an und legte das kleine schwarze Buch auf ihre Oberschenkel. Langsam las sie weiter. Ihre Wangen röteten sich vor Aufregung, als sie zu der Stelle kam, wo Lescot einen Streit zwischen dem Professor und ihm beschrieb. Das Unheil hatte im Labor begonnen.
    Montag, 16.9.1907
    … doch als ich mich mit der Phiole in der Hand mit dem Ellbogen auf den Tisch stützen wollte, um nach einem Bunsenbrenner zu greifen, rutschte ich ab und ließ die Zange mit der Phiole fallen. Das Glas zerbrach in tausend Stücke auf dem schwarz-weißen Karree-Boden und mit ihm meine Zukunft. Sofort stürmte Bernhardt auf mich zu und blieb vor dem kleinen Fleck am Boden stehen. Niemals werde ich seinen Blick vergessen, mit dem er mich ansah. Es war, als wollte er sich gleich auf mich stürzen und mich erwürgen. Ich kniete nieder und versuchte zu retten, was zu retten war, aber die goldene Flüssigkeit

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