Das weiße Grab
sie als auch Andreas Falkenborg als letzte Fahrgäste ausgestiegen, und er war zu einem kleinen Parkplatz neben dem Bahnhof gegangen, wo sein Auto stand. Sie hatte mitbekommen, wie er weggefahren war.
»Können Sie das Auto beschreiben?«
»Ja, es war ein roter VW Multivan.«
»Sie scheinen sich mit Ihrer Aussage sehr sicher zu sein. Kennen Sie sich mit Autos aus?«
»Ja, mein Vater ist Automechaniker, ich bin mit Autos aufgewachsen.«
»Wissen Sie, warum Sie hier sitzen?«
Sie nickte, beinahe vorwurfsvoll.
»Weil sein Auto rot war.«
Auch er nickte. Dann holte er die Fotokopie einer Zeichnung aus ihren Unterlagen hervor und legte sie ihr vor.
»Sie haben dieses Porträt von Andreas Falkenborg gemalt, als sie im Zug nach Frederiksværk saßen. Warum haben Sie das gemacht?«
»Ich zeichne häufig Menschen im Zug. Das ist eine Angewohnheit. Manchmal, wenn ich finde, dass sie interessant aussehen, manchmal aber auch einfach nur, damit die Zeit vergeht.«
»Warum waren Sie in London?«
»Um eine antike Mauer zu zeichnen.«
»Das klingt merkwürdig.«
»Ich möchte Architektin werden.«
»Wo war Ihre Tochter, als Sie in England waren?«
»Bei ihrem Vater.«
»Wie würden Sie das Rot von Andreas Falkenborgs Wagen beschreiben?«
»Der Parkplatz war nicht sonderlich gut beleuchtet, da ist es schwer, Farben zu bestimmen. Aber ich denke, es muss so ein Rot wie bei der dänischen Fahne gewesen sein.«
»Haben Sie auf dieser Zugfahrt auch noch andere Menschen gezeichnet?«
Er sprang von einem Thema zum anderen, um sie zu verwirren; aber sie manövrierte sich mit ihren simplen, ehrlichen Antworten sicher durch die Befragung. Nur die letzte Frage brachte sie aus dem Konzept: »Sie wohnen in Frederiksværk. Warum sind Sie dann in Grimstrup ausgestiegen?«
»Das hat nichts zu bedeuten, außerdem habe ich versprochen, es niemandem zu sagen.«
Sie betonte das Wort versprochen, als brauchten sie darüber nicht weiter zu reden.
»Wem haben Sie es versprochen?«
»Jemandem, den ich kenne.«
»Hat außer Ihnen noch jemand dieses Auto gesehen?«
»Nicht so gut wie ich.«
»Wer?«
»Eine Frau, die ich kenne.«
Konrad Simonsen seufzte und erklärte ruhig: »Sie haben uns gestern Abend viermal angerufen und sind dann auf eigene Initiative erst heute Nacht ins Präsidium gekommen, um Ihre Aussage zu machen. Es ist jetzt das dritte Mal, dass Sie befragt werden, was bedeutet, dass wir Ihre Zeugenaussage sehr ernst nehmen, aber darüber sind Sie sich ja vollkommen im Klaren. Ich kann mir keine Irrtümer leisten, da sich im Augenblick zwei Frauen in akuter Lebensgefahr befinden, wenn sie nicht bereits ermordet worden sind. Ich habe also wirklich keine Zeit für Ihre Geheimnisse, wem auch immer Sie etwas versprochen haben. Außerdem verstehe ich nicht, warum Sie sich erst gut einen Tag nach Ihrer Zugfahrt gemeldet haben. Auch dafür hätte ich gerne eine Erklärung.«
Juli Denissen dachte nach und kam mit der falschen Schlussfolgerung: »Ich garantiere Ihnen, dass das Auto rot war. Sie müssen mir glauben, der Rest hat keine Bedeutung.«
Konrad Simonsen fluchte innerlich und erwog, sich die Zeit zu nehmen, sie zur Vernunft zu bringen. Schließlich erkannte er aber, dass ihm dafür die Energie und die Muße fehlten. Er versuchte es einen Moment lang mit Schweigen, doch als sie entschieden den Kopf schüttelte, rief er Poul Troulsen zu sich, obwohl er ihr das gerne erspart hätte. Sie hatte wirklich etwas Besseres verdient.
Nachdem die Frau gegangen war, bekam er sie nicht aus dem Kopf, und er war erleichtert, als Poul Troulsen gut eine Stunde später mit ihr zurückkam und sie auf ihren alten Platz geleitete, während er erklärte: »Sie wurde am Bahnhof von ihrem Geliebten abgeholt. Gemeinsam sind sie dann in sein Sommerhäuschen in Asserbo gefahren. Er ist verheiratet und hat Kinder. Juli hat gesagt, dass er seinen Seitensprung so weit wie möglich von seinem übrigen Leben trennt. Er trifft sie zum Beispiel nie in Hillerød, weil er befürchtet, von jemandem erkannt zu werden. Beide haben sie Andreas Falkenborgs Auto gesehen, er aber nur flüchtig. Er hat sich aber nicht an uns gewendet, auch wenn er seiner … auch wenn er Juli gegenüber das Gegenteil behauptet hat.«
Er zeigte auf die Frau, die mit gesenktem Kopf dasaß. Sie sah traurig aus.
»Als in den Fahndungsmeldungen in den Medien immer wieder von einem
weißen
Lieferwagen die Rede war, ergriff sie schließlich selbst die Initiative und … und, na ja,
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