Das weiße Grab
Berg den Bericht noch einmal, um sicherzugehen, dass sie auch alles mitbekommen hatte, fand aber nichts weiter Sensationelles. Ein bisschen frustriert konzentrierte sie sich auf das beigelegte Bild. Es zeigte das Gesicht einer Frau Anfang zwanzig. Sie hatte runde Wangen, einen kurzen, blonden Pagenschnitt und eine kleine, aber deutliche Narbe über dem rechten Auge. Das Foto hatte keinen Begleittext, aber es war nicht schwer, sich auszurechnen, wer darauf abgebildet war. Dann schrieb sie einen Zettel für Malte Brorup und bat ihn, die Frau zehn Jahre älter zu machen und ihr das Resultat zu mailen. Noch vor dem Wochenende.
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23
D ie Sitzung mit dem Profiler wurde erneut aufgenommen, als Konrad Simonsen gut eine Stunde nach der versprochenen Zeit seinen Platz am Konferenztisch wieder einnahm. Seine Laune hatte sich durch die Episode mit Arne Pedersen deutlich verschlechtert. Nicht wegen dem, was vorgefallen war – Arne Pedersen würde in der kommenden Nacht sicher schlafen können, daran zweifelte er eigentlich nicht –, sondern aufgrund der Gedanken, die ihm auf dem Rückweg ins Präsidium gekommen waren. Wollte er der Wahrheit ins Auge blicken, musste er anerkennen, dass der männliche Teil seiner engsten Mitarbeiter, er selbst eingeschlossen, eine üble Ansammlung von jämmerlichen Gestalten war. Poul Troulsen wartete auf seine Pension, Arne Pedersen hatte Alpträume und zwanghafte Gedanken wegen eines Verhältnisses, mit dem er nicht umzugehen wusste, und er selbst – tja, was sollte er schon über sich selbst sagen? Vielleicht war es wirklich an der Zeit, sich versetzen zu lassen, eine ruhigere Arbeit zu übernehmen und den Jüngeren das Feld zu räumen. Wollte er im Sattel bleiben, war er auf jeden Fall gezwungen, einen neuen, tatkräftigen Mann zu finden, jemanden, der Türen eintreten konnte, ohne gleich außer Atem zu geraten. Und diesen Jemand musste er dann behutsam in den Kreis seiner engsten Mitarbeiter integrieren.
Er konzentrierte sich auf die Sitzung und fasste, sich an den Psychologen richtend, noch einmal alles kurz zusammen: »Sie haben aufgezeigt, dass Andreas Falkenborg in keine der üblichen Serienmördergruppen passt. Die Rede war dabei von den Gruppen
thrill killers, lust killers
und
power seekers.
Als ich gehen musste, wollten Sie uns gerade sagen, welche anderen Gruppen es noch gibt.«
Der Psychologe fuhr mit seinen Auslegungen fort, als wären nur wenige Sekunden verstrichen und nicht mehr als eine Stunde. Auch Pauline Berg und Poul Troulsen taten so, als wären derartige Pausen in ihren Sitzungen normal. Keiner der beiden fragte nach Arne Pedersen.
»Eine weitere mögliche Gruppierung sind die
gain killers
– also Serienmörder, die sich durch ihre Taten materielle Güter sichern oder sich einen finanziellen Vorteil verschaffen wollen, aber auch diese Gruppe können wir ausschließen. Dann gibt es noch zwei recht synonyme Gruppierungen, nämlich die
visionaries
und die
missionaries.
Die erste Gruppe lässt sich von Stimmen leiten oder glaubt, irgendwie von außen gesteuert zu sein, zum Beispiel durch einen Geist, der in den Nachbarshund geschlüpft ist, um mal ein konkretes Beispiel zu nennen. Die andere Gruppe erachtet es als ihre Mission, die Welt von einer bestimmten Art Mensch zu befreien, die für sie aus irgendeinem Grund eine Gefahr darstellt. In dieser Gruppe finden sich vielleicht ein paar kleinere Übereinstimmungen mit Andreas Falkenborg. Die Teufelsmaske würde in dieses Schema passen wie auch die Ähnlichkeit der Opfer, aber die Vertreter dieser beiden Gruppen sind fast immer psychotisch oder schizophren, und das trifft in unserem Fall ja nicht zu. Außerdem sind sie nur selten so organisiert wie er, und – eigentlich das entscheidende Kriterium – sie sind in der Regel etwas zurückgeblieben und haben einen IQ zwischen 90 und 100 . Andreas Falkenborgs Intelligenzquotient ist wesentlich höher.«
Konrad Simonsen warf ein: »Dann bleibt nur noch eine Gruppierung, wenn ich das richtig verfolgt habe.«
»Ja, das stimmt. Die letzte Gruppe bezeichnet man als
hedonist killers,
also Serienmörder, die einfach Spaß daran haben, andere Menschen umzubringen. Ich bin mir ein bisschen unsicher, aber diese Gruppe ist häufig nicht eindeutig zu bestimmen, in ihr gibt es auch Ansätze von Dominanz und Sadismus. Der Lippenstift, das Nägelschneiden sowie die Ähnlichkeit der Opfer passen da auch nicht ganz rein. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass er bei Rikke Barbara Hvidt
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