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Das weisse Kaenguruh

Das weisse Kaenguruh

Titel: Das weisse Kaenguruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Praxenthaler
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dich, verstehst du? Weil ich blöde Kuh die ganze Zeit gehofft habe, daß du dir noch nicht alles weggesoffen hast, wofür ich dich mal geliebt habe. Hast du dir mal überlegt, daß so was weh tut?«
    Billy brauchte eine Pause. Er hatte natürlich mit Vorwürfen gerechnet, aber nicht in diesem Ton und mit dieser Vehemenz.
    »Kann ich kommen?« fragte er nach einer Weile und wollte so nach vorne flüchten.
    »Wie bitte?«
    »Ich könnte mich nächstes Wochenende in den Flieger setzen und nach Paris kommen. Ich laß den ganzen Unikramhier, und wir verbringen ein Wochenende zusammen. Nur wir zwei. Und ohne Alkohol, versprochen.«
    Es war ein ernstgemeinter Vorschlag, aber er kam zu spät.
    »Du hast keine Ahnung, wovon ich rede, oder? Scheiße, Billy, weißt du was? Ruf an, wenn du wieder nüchtern bist. Und bis dahin, laß mich verdammt noch mal in Ruhe.«
    Dann legte sie auf.
    Billy versuchte noch unzählige Male, sie anzurufen, aber sie drückte ihn jedesmal weg. Sie gab ihm keine Chance. Es dauerte eine gute Woche, bis er es kapiert hatte. Es tat schrecklich weh, aber wahrscheinlich hatte sie recht. Er hatte nur noch eine Möglichkeit. Das glaubte er jedenfalls. Er mußte sein Examen bestehen. Und dann würde er mit Saufen aufhören. Sofort, das schwor er sich. Er glaubte, so die Beziehung retten zu können. Nur noch das Examen. Danach würde eine neue Zeit anbrechen. Annabelle und er würden wieder zusammenfinden. Diese Krise konnte und durfte sie nicht auseinanderbringen. Es war nur eine Krise und nicht mehr. Er liebte sie doch. Daran würde sich niemals etwas ändern. Niemals. Bitte.
    Billy hatte Annabelle das alles in einem ewig langen Brief geschrieben, und er entschuldigte sich darin weitere eintausend Mal. Er wünschte ihr viel Spaß und Glück in Paris, und er schrieb, daß es unendlich traurig, aber wohl leider die beste Lösung sei. Bis sie wiederkäme, wolle er sie in Ruhe lassen. Er respektiere ihre Entscheidung, erklärte er, und könne sie gut verstehen. Sie würde also nichts mehr von ihm hören, versprach er schließlich, und gönnte sich dabei nur eine einzige Ausnahme. »Wenn ich Anfang Mai erfahre, daß ich es tatsächlich geschafft habe, werde ich mich melden. Nur dann, erst dann. Und ich weiß, es wird passieren. Und ich freu mich drauf. Unendlich. Mit aller Liebe, Billy.« Er konnte ja nicht wissen, daß der Brief nicht ankam. Obwohl er von Annabelle gelesen wurde.

Vierkommanull.
    Der Druck wurde nicht weniger. Die Krise hatte Billy zwei wertvolle Wochen gekostet, und er fand nur mit großer Mühe zu seiner alten Form zurück. Aber er biß. Er war mächtig durchgeschüttelt worden und hatte einen nachhaltigen Schreck bekommen. Er kannte seine Frau und wußte, wozu sie fähig war. Er mußte sich also dringend zusammenreißen, und er fing auch tatsächlich damit an. Als Sofortmaßnahme reduzierte er den Whiskey. Es war ein Wunder und verantwortlich dafür waren die Hormone. Er wollte sich runterpegeln. Und weil sein Wille stark war, blieb ein gewisser Erfolg nicht aus. Nach einer Zeit stellte er von Bushmills auf Wodka-Tonic um, und in den letzten Wochen vor seinem Examen verzichtete er sogar vollständig auf harte Sachen, sondern trank nur noch Bier. Weniger als sechs Flaschen am Tag waren es allerdings nie. Man sah es ihm an. Er war ganz schön aufgeschwemmt, mittlerweile. Zum Glück rauchte er weiterhin wie ein Rock-’n’-Roll-Star. Seine Hosen sagten danke.
    Dann ging es endlich los mit den Prüfungen, und Billy schrieb viele weiße Blätter voll. Er schrieb wie ein Besessener und palaverte sich tot. Er versuchte alles, was nur halbwegs nach Wissen roch, in seine Klausuren einzubringen, und wußte, daß er dabei stets ein hohes Risiko einging. Alles konnte falsch sein, und die Bezüge, die er herstellte, waren mitunter ein einziger fachlicher Amoklauf. Er wußte zu allem ein bißchen was, aber nichts gründlich. Er hatte die groben Zusammenhänge begriffen und sah den Nutzen nicht. Diese fehlende Einsicht war übrigens eines seiner größten Probleme. Er war überraschend kritisch geworden während seines Studiums und hatte ein Gefühl der Ohnmacht des Kleinen vor dem ganz Großen mitbekommen. Die Lehre stand rechts und er stand plötzlich links. »Sich mit dem Kapitalismus zu beschäftigen, ist das beste Argument gegen ihn.« Bei aller schlechten Laune, fand er das einen sehr lustigen Zusammenhang.
    In seinen Klausuren hielt er sich mit politischen Bemerkungen freilich konsequent zurück.

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