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Das weisse Kaenguruh

Das weisse Kaenguruh

Titel: Das weisse Kaenguruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Praxenthaler
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Überschrift hieß: »Vietnam rostet. Weiterführende Gedanken zu bizarren Erscheinungen des wirtschaftlichen Wachstums in einer kapitalistischen Welt.«
    In dreieinhalb Monaten war er durch. Zuerst hatte er seine Gliederung im Sinne des universitären Geistes angepaßt, dann meldete er sich mit seinem Thema an, arbeitete im folgenden und bis zum allerletzten Moment konsequent zehn Stunden am Tag, schwitze und spie dabei, trank nicht wenig, schrieb immer verzweifelter eine unwichtige Pflichtarbeit mit sechs Kapiteln, ließ sie hochwertig binden und gab sie ab. Den Anhang hatte er ohne Rücksprache mit seinem Betreuer beigefügt. Soviel Anarchie mußte sein. Am Ende wurde entschieden, daß eine »4,0« als Gesamtnote gerade noch vertretbar sei.
    »Armut an fundierten Zusammenhängen, viele Fehler und nicht zuletzt im Kern an der Grenze zur Wissenschaftlichkeit«, hatte der Betreuer Billy gesagt, als sie sich später noch einmal trafen. »Und dann diese Geschichte mit Ihrem Anhang«, echauffierte er sich. »Nicht nur, daß Sie mich da ganz schön hintergangen haben. Ich möchte mal wissen, welcher Teufel Sie da geritten hat?«
    »Wie hat Ihnen der Anhang denn gefallen?« fragte Billy zurück.
    »Ja, entsetzlich, was denken Sie? Mit solchen Gedanken machen Sie sich doch lächerlich.«
    »Aber ich habe meine Gedanken belegt«, rechtfertigte sich Billy.
    »Ja, klar«, spottete der Betreuer. »Mit Zitaten von Marx und Ho Chi Minh!«
    Billy war es egal. Hauptsache bestanden. Die erste Etappe war geschafft, und so war er längst auf dem Weg zum Ziel. Nachdem er seine Diplomarbeit abgegeben hatte, gönnte er sich ein hastiges Wochenende mit Annabelle auf dem Land und setzte sich danach sofort wieder an den Schreibtisch. Mit klarem Auftrag. Jetzt mußte er sich so schnell wie möglich die unüberschaubare Menge an Stoff ins Hirn prügeln, die man leider braucht, wenn man fünf Examensklausuren eines BW L-Studiums bestehen will. Er wollte es also wissen. Weiterhin und von Tag zu Tag verkrampfter. Er steigerte sein Pensum nochmals, reduzierte im Gegenzug seine sozialen Kontakte auf das Überlebensnotwendige und kannte nur noch eine Richtung – geradeaus! Und eigentlich hätte Annabelle sehr glücklich über seine erbarmungslose Konsequenz sein müssen. Aber sie war es nicht. So sehr sie Billy auch für seinen eisernen Willen bewunderte, so wenig Verständnis hatte sie für die Nebenwirkungen.

Und Prost!
    Der Druck war enorm, und Billy beschloß, ihn mit Alkohol abzulassen. Wenn man jeden Tag mehr als zehn Stunden am Schreibtisch sitzt und etwas lernt, was man gar nicht lernen will, wird man schneller bescheuert, als man denken kann. Da braucht man Medizin. Frauen greifen in solchen Fällen oft zur Schokolade, aber Billy brauchte mehr. Und was gab es schon für Möglichkeiten? Marihuana schied aus, weil man bekifft nicht lernen kann, Psychopharmaka waren noch niemals eine Lösung, und Yoga oder ähnliches Zeugs waren für Billys Begriffe – genauso wie Schokolade – Frauensache. Also griff er zur Flasche und entschied sich für Whiskey. Das schmeckte ihm, man mußte nicht viel schleppen und brauchte nicht mal Eis. Es war die klassische Spirale. Der Alkohol ist ein fieser Hund, und Billy war genetisch nicht ungefährdet. Es dauerte nicht lange und er schraubte die Dosierung in kleinen Schritten, aber stetig nach oben. Es war wie ertrinken und die Konsequenzen für seine Beziehungsrealität waren katastrophal.
    In seiner besten Zeit knallte er sich jeden Tag mehr als eine Flasche rein. Plus Kaffee, Cola und gerne Bier gegen den Durst, sowie Nudeln oder Pizza als einziger Nahrung. Und kategorisch zwei Schachteln Kippen. Er gab es sich kräftig. Schon nach zwei Wochen Lernen stand er wie automatisch mit einer Zigarette auf und ging mit einem letzten, kräftigen Schluck ins Bett. Bushmills war seine Marke. Sobald er sich morgens an den Schreibtisch gequält hatte, goß er sich seinen ersten Drink ein und schenkte von da an kompromißlos nach. Es war wie eine Zeremonie und sie hielt ihn am Leben. Der Streß wurde nicht weniger, aber wenigstens ließ er sich mit einem gewissen Pegel besser aushalten. Fünf Millionen Alkoholiker in Deutschland wissen, warum sie trinken.
    Annabelle kam damit nicht klar. Am Anfang hatte sie es zunächstgar nicht mitbekommen, aber die Zeichen des Verfalls wurden schnell unübersehbar. Aus Billys Mund stank es vierundzwanzig Stunden am Tag nach Lungenkrebs mit dreißig, und in seiner Bude standen

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