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Das weisse Kaenguruh

Das weisse Kaenguruh

Titel: Das weisse Kaenguruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Praxenthaler
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unverhofft. »Die Bedeutung von Schrott für den vietnamesischen Weg nach oben«, sollte sein Thema in etwa heißen. Da war sie endlich, die ersehnte Erlösung. Wie der perfekte Spagat des Einbeinigen. Das Thema hatte nämlich mit ihm und trotzdem mit BWL zu tun! Das war schon einmalig. Die Idee war sein Fanal und Billy stürmte los. Zweifelsfrei und zielstrebig. Er handelte. Er suchte sich einen potentiellen Betreuer für seine Arbeit und wurde vorstellig.
    Der Betreuer war männlich und zeigte sich grundsätzlich nicht abgeneigt. Billy hatte ihm von seinen Urlaubserfahrungen berichtet und dann kurz sein Thema umrissen. »Und wie jetzt genau?« hatte ihn der Betreuer gefragt und wollte harte Fakten. Die gab es natürlich noch nicht, es war ja auch erst mal so eine Idee. »Kein Problem«, sagte der Betreuer dazu und hatte es ganz spontan sehr eilig. »Dann entwickeln Sie mal in aller Ruhe eine grobe Gliederung, und wir sehen uns in einer Woche wieder. Gleiche Zeit, gleicher Ort. Ganz einfach.« »In einer Woche?« fragte Billy, und der Betreuer antwortete: »Ja! Und den Titel für ihre eventuelle Diplomarbeit habe ich auch schon vor Augen. Reduzieren Sie das nicht so sehr auf diese Altmetallgeschichte. Sie müssen da größer rangehen. Als Hausnummer so was wie › Vietnam – Von der sozialistischen Republik zum Kleinen Tiger‹. Denken Sie da mal drüber nach.«
    »Klar«, sagte Billy und stand kurz danach wieder auf dem Flur.
    Der Termin war nicht zu halten. Eine Woche war utopisch. Auch zwei Wochen reichten nicht aus. Obwohl Billy alles dafür tat. Er bewaffnete sich mit einem Bibliotheksausweis und las zum ersten Mal in seinem studentischen Leben quer. Er recherchierte nächtelang im Internet nach ähnlichen Arbeiten, von denen man eventuell abschreiben könnte. Er telefonierte mit der vietnamesischen Botschaft. Er spitzte selbst die ältesten Kontakte aus seiner Studienzeit an, um sachdienliche Hinweise zu ergattern, wie man sich einem solchen Thema überhaupt annähert. Das Ganze mußte schließlich einem akademischen Anspruch genügen, auch wenn Billy keine Ahnung hatte, was das eigentlich genau war.
    Nach drei Wochen hatte er es dann endlich geschafft. Er hatte seine erste Gliederung. Das war ein gutes Gefühl und mit dem Ergebnis war er auch zufrieden. »So müßte es gehen«, dachte er sich, tippte die Gliederung mit der Schreibmaschine seiner Oma auf ein Blatt Altpapier ab, machte einen neuen Termin mit seinem Betreuer aus und schritt zur Präsentation.
    »So können wir das natürlich nicht machen«, war der erste Kommentar des Betreuers, als er Billys Entwurf gelesen hatte. »Zu wenig wissenschaftlich«, »zu vage«, »im Grunde am Thema vorbei« und »irgendwie erschreckend schlampig für jemanden in Ihrem Semester«. Besonders an den Kapiteln fünf und sechs störte er sich. Die Überschriften lauteten: »Oxidierte Träume. Die wirtschaftliche Bedeutung von Altmetall für das vietnamesische Proletariat« und »Zur Ästhetik der Verrostung. Kapitalistische Symbolik einer Volkswirtschaft im Aufbruch«. So ging es natürlich nicht. »Wie kommen Sie denn auf diesen Irrsinn? Ich habe Ihnen doch gesagt, schmeißen Sie den Metallkram raus. Sie schreiben hier eine betriebswirtschaftliche Arbeit an einer Universität und keinenArtikel für die Reisebeilage der ›taz‹«, sagte der Betreuer und strich die beiden Kapitel ersatzlos. »Da müssen Sie auf jeden Fall noch mal bei gehen. Sonst wird das nichts mit uns.«
    Billy hätte spucken können. Aber er hielt sich zurück. Erst als er wieder auf der Straße war, drehte er ein bißchen durch und trat eine fette Delle in seine Autotür. Das half natürlich nichts. Er hatte schnell begriffen. Der Versuch, ein bißchen persönliche Wahrheit in seiner Diplomarbeit unterzubringen, war von vornherein vergeblich. Er hätte es wissen müssen. Aber er sah es nicht ein. Und so kam es zum inneren Kompromiß. Dem System zuliebe gab er klein bei und packte der eigenen Ehre wegen doch einen drauf. Er beschloß, alles so zu machen, wie sein Betreuer es gefordert hatte, und bereicherte im Gegenzug seine Diplomarbeit um einen kleinen, feinen Anhang. Mit ausdrücklichem Hinweis auf die »persönlichen Eindrücke, die ich während eines Besuches der Republik Vietnam sammeln durfte«, wollte er so wenigstens ein bißchen Herzblut in das Thema einbringen. Weniger Stolz ging nicht. Der Anhang hatte am Ende auch nur fünf Seiten und war mit sieben ausgewählten Bildern unterlegt. Die

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