Das weisse Kaenguruh
Seit mehr als einem Jahr schon, um genau zu sein. Kurz nachdem er sich auf die Spekulation an der Börse eingelassen hatte, war er diesbezüglich nämlich träge geworden und hatte – in der Hoffnung auf ewig steigende Kurse – sein illegales Denken praktisch eingestellt. Was er jetzt bereute.
Um sieben saß er immer noch in seinem Coffee-Shop, fett, hatte bereits sechs Bier drin und seinen mittlerweile dritten Joint, dazu eine warme Mahlzeit, zwei Stück Kuchen, einen Nachtisch, eine große Portion Eis mit Sahne und obendrauf noch einige Fruchtshakes. Weitergekommen war er nicht. Satt war er schon. Und weil es sich mit einem vollen Bauch schlecht nachdenken läßt, beschloß er, seinem Gehirn nach all der zermarternden Grübelei eine kleine Pause zu gönnen und ins Kino zu gehen. Ein guter Action-Streifen würde ihn vielleicht auf neue Gedanken bringen, so hoffte er. Deshalb stand er nach weiteren 20 Minuten auf – für einen Kiffer also ganz spontan – und machte sich auf den Weg zum Tresen, um die stattliche Rechnung zu begleichen, die er in den letzten vier Stunden zusammengefressen, zusammengesoffen und zusammengeraucht hatte.
»Und einen kleinen Joint auf den Weg nehme ich auch noch mit«, sagte er mit roten Augen und schlingernder Zunge zum Kassierer.
»Was darf es sein? Lieber was Mildes oder eher was mit Power?« fragte der Kassierer zurück, der ebenfalls rote Augen hatte.
»Was empfehlen Sie?«
»Kommt darauf an, was Sie noch vorhaben.«
»Ich will ins Kino.«
»Genre?«
»Wie bitte?«
»Welche Art von Film?«
»Ach so. Wahrscheinlich was mit Action oder so.«
»Dann würde ich Polle nehmen.«
»Dann nehme ich Polle.«
»Gute Wahl«, sagte der Kassierer. »Macht dann 71,30 Gulden, alles zusammen.«
»Hier sind 80«, sagte der Euro und legte das Geld auf den Tresen.
»Einpacken?«
»Wie meinen?«
»Soll ich dir den Joint einpacken?«
»Warum nicht?«
»Also einpacken«, sagte der Kassierer, holte ein fertiges Tütchen aus der Lade und steckte es in ein durchsichtiges Plastikröhrchen.
»Bitteschön. Und einen wunderschönen Abend noch.«
»Danke, ebenso. Und bis morgen. Vielleicht. Also, ich meine, mal sehen«, sagte der Euro, steckte das Röhrchen mit dem Joint in die Tasche, verabschiedete sich nochmals und mit einer undefinierbaren Handbewegung, trat ins Freie, freute sich über die frische Luft und machte sich auf in Richtung Kino.
Dienstleistungsgesellschaft.
»Das muß man diesen Holländern schon lassen«, dachte sich der Euro, als er leicht orientierungslos durch die Gegend schlenderte. »Fußballspielen können sie zwar nicht, aber in Sachen Dienstleistung, da sind sie echt weit vorn.« Wobei man diese Aussage nicht falsch interpretieren darf. Es ging ihm nicht etwa um die leidige Legalisierungsdebatte. Natürlich konnte er nicht verstehen, warum die Deutschen – und insbesondere seine bierseligen, bayerischen Landsleute – immernoch so taten, als sei Marihuana eine Bedrohung des Abendlandes, die es mit aller Macht des Staates auszumerzen galt. Das war ihm so was von egal. Er war kein notorischer Kiffer, sondern nur regelmäßiger Gelegenheitskonsument, und wenn ihm mal wieder nach einer kleinen Ablenkung von der harten Realität des Alltags war, hatte er im Gegensatz zu vielen anderen Gesinnungsgenossen kein Beschaffungsproblem. Selbst in einer von paranoiden Cops durchsetzten Stadt wie München nicht. Da konnte sich die Polizei noch so anstrengen. Für jemanden wie den Euro war das Aufstellen von Marihuana ein Kinderspiel. Jemand wie er konnte alles aufstellen. Das war schließlich Teil seines Berufs.
Nein, was er mit »Dienstleistung« meinte, bezog sich schlicht auf die Tatsache, daß man in Holland eben auch einen einzelnen Joint kaufen konnte, und zwar genau dann, wenn es gerade paßte. Nicht mal selber drehen mußte man hier. Man ging in einen Laden, bestellte einmal ready-tosmoke, zahlte einen Witz, ging wieder hinaus, setzte sich irgendwo zum Rauchen hin und war für die nächste Zeit ein glücklicher Mensch. Völlig unkompliziert, und genau hier bestand der große Unterschied. Denn klar, auch in Deutschland konnte man sich etwas zum Rauchen besorgen. Man rief seinen Dealer an oder traf sich ersatzweise mit einem freundlichen Medizinmann im Park. Aber genau hier bestand für den harmlosen Freizeitkiffer das Problem. Denn einerseits war das Besorgen von Rauchware immer mit einem gewissen Aufwand verbunden, und andererseits wollten einem die Dealer dann immer
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