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Das Weisse Kleid Des Todes

Das Weisse Kleid Des Todes

Titel: Das Weisse Kleid Des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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und mit gespannter Konzentration verfolgte sie, wie er dem Angriffspunkt immer näher kam. Nur ein paar Schritte noch, dann …
    Das Licht der Taschenlampe glitt über die Bäume auf dem Hügel. Er trat näher, noch näher. Clare krallte ihre Hände um den Zweig und wartete. Der Mann schwenkte die Lampe weg von der Anhöhe und leuchtete hinter sich zur ersten Baumgruppe. Leuchtete sie ab. Stockte. Forschte mit seinem Lichtstrahl. Clares Lungen brannten. Sie erinnerte sich daran, zu atmen. Noch. Ein. Schritt. Noch. Ein. Schritt. Noch ein Schritt. Das Gesicht weiterhin bergab gewandt, tappte er in ihre Falle.

24
    C lare ließ die Schnur ihrer Schleuder los. Sie hörte es eher, als dass sie es sah: den zurückschnellenden Birkenstamm, das Peitschen des Zweiges durch die Luft, den Schauer von aufstiebendem Schnee. Sie packte den Stein und war auf den Beinen, noch ehe die volle Wucht des Baumes ihren Angreifer an Schultern und Rücken traf. Mit einem ohrenbetäubenden Knall ging der Revolver los. Der schmerzliche Aufschrei des Mannes brach ab, als er vornüber in den Schnee fiel. Clare erhob sich zu voller Größe und sprang ihm mit aller Kraft auf den Rücken, klemmte seinen Oberkörper zwischen ihre Beine und hob den schweren Stein über den verhüllten Kopf. Es gab ein Geräusch wie morsches Holz, als sie zuschlug. Der Mann bäumte sich auf, doch der tödliche Hieb verfehlte sein Ziel nicht. Mit einem Gurgeln sackte der Mann zwischen ihren Schenkeln zusammen.
    Sie kroch rückwärts von dem leblosen Körper herunter, sank in die Hocke und hob den Stein zu einem zweiten Schlag, der ihrem Verfolger den Schädel spalten sollte. Wenn du ihn tötest, solange er bewusstlos ist, dann wirst du zur Mörderin. Der Gedanke schien von außerhalb zu kommen. Der Stein zwischen ihren Händen bebte. Aber wenn du ihm schon nicht den Rest gibst, dann vergewissere dich wenigstens, dass er dir nichts vormacht, raunte der alte Stabsfeldwebel mit seinem gedehnten Akzent. Sie richtete sich auf und trat der ausgestreckten Gestalt, so fest sie konnte, zwischen die Beine. Keine Reaktion. Er war tot oder bewusstlos, das stand fest.
    Sie fiel auf die Knie, schob beide Hände unter den Mann und drehte ihn ächzend herum. Dann zog sie mit den Zähnen ihre Handschuhe aus und öffnete die Druckknöpfe der großen Taschen an seinen Schenkeln, um nach den Schlüsseln für einen Pkw, einen Transporter oder ein Schneemobil zu suchen. Die Hüfttaschen hatten Reißverschlüsse, deren Kälte Clare in die Finger schnitt, als sie sie aufzog. Nichts. Die Reißverschlüsse an seinen Armen waren verklemmt, möglicherweise zugefroren. Sie gab es auf und tastete den Stoff stattdessen zwischen ihren Fingern ab. Eine der Taschen enthielt einen Stift, die andere war leer.
    Clare hockte sich auf ihre tauben Fersen. Die nasse Hose klebte ihr an den Schenkeln. Was immer für einen Wagen der Kerl gefahren hatte – die Schlüssel steckten anscheinend noch. Sie zog ihre Handschuhe wieder an. Dann musste sie sich wohl zurück zu der Abzweigung durchschlagen. Bestimmt hatte er irgendwo in der Nähe ihres ersten Zusammentreffens geparkt. Es ging gar nicht anders.
    Sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen, und sah sich nach dem Revolver um. Die Taschenlampe beleuchtete eine Schneebank auf halbem Weg den Hügel hinab, aber keine Waffe weit und breit. Clare stand auf, umrundete ihren Widersacher und tastete nach einem etwaigen Loch im Schnee. Dann sprang sie den Hang hinab, um sich die Lampe zu holen. Auf dem Rückweg zu dem leblosen Körper ließ sie den Strahl über den Schnee wandern. Nichts. Sie stöhnte frustiert. Null zu null. Gleichstand. Nein, das stimmte nicht. Sie war bei Bewusstsein, war auf den Beinen und hatte die Taschenlampe. Das machte sie zur Siegerin. Vorläufig.
    Sie ging neben dem Kopf das Mannes in die Hocke und zog an der Skimaske, die alles außer den Augen bedeckte. Die dunkle Wolle verschwand in dem mit Reißverschluss und Druckknöpfen versehenen Kragen des Schneeanzugs. Clare zog daran, aber die Mütze bewegte sich nicht. Sie zog etwas stärker. Die Skimaske verschob sich über die Augen, rutschte dann jedoch nicht weiter, sondern dehnte sich nur. Entweder war sie in den Reißverschluss eingeklemmt oder innen festgemacht. Clare zerrte noch einmal, da drehte der Mann den Kopf. Er stöhnte.
    Clare sprang auf die Beine und hob die Taschenlampe hoch, als wollte sie ihn erneut bewusstlos schlagen. Allerdings hatte sie keine Garantie, dass ein Schlag auf

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