Das Weisse Kleid Des Todes
erschien. Kleider machen Leute, hörte sie ihre Großmutter dozieren, während das jungenhafte Mädchen Clare von ihr in ein Klein-Fräulein-Kostüm gesteckt wurde. Einen Fussel von ihrem knöchellangen schwarzen Wollrock zupfend, folgte Clare ihrem Begleiter durch die Tür.
Das »Gesellschaftszimmer« war offensichtlich ein Anbau aus neuerer Zeit. Die kathedralenhafte Decke bot Raum für einen etwa dreieinhalb Meter hohen Christbaum, und die Fensterreihe gewährte ungehinderten Blick auf verschneite Hügel. Die männlichen Fowlers erhoben sich von einer Gruppe lederbezogener Polsterbänke und Sessel.
»Chief Van Alstyne.« Vaughn Fowler klang nicht überrascht, am Sonntagvormittag um elf einen uniformierten Polizisten in seinen vier Wänden zu sehen.
Wes ähnelte stark seinem Vater: dieselbe Größe, dieselben markanten Züge, dieselbe muskulöse Statur. Seine Frisur war noch kürzer als der militärische Haarschnitt seines Vaters – fast kahl rasiert –, sein Gesicht wirkte müde und gestresst. Er sah älter als achtzehn oder neunzehn aus, und Clare hielt es absolut für möglich, dass er der »Gruftie« sein könne, den Katies Kameradinnen gesehen hatten.
»Das ist mein Sohn Wesley.«
»Sir.« Wesley schüttelte Russ kraftvoll die Hand.
Vaughn winkte Clare näher. »Wes, ich glaube, du hattest noch keine Gelegenheit, unsere neue Pastorin kennen zu lernen. Das hier ist Reverend Clare Fergusson.«
»Ma’am.« Bei ihrem Händedruck studierten die beiden einander. Wes schien eindeutig in Verlegenheit, Clare zu sehen. Weil sie es war, die sein Verhältnis mit Katie aufgedeckt hatte? Oder weil er gestern Abend von ihr einen Stein auf den Schädel bekommen hatte? Ein kräftiger junger Mann wie er konnte sich über Nacht von diesen Anstrengungen und Verletzungen so weit erholen, dass er heute Morgen ruhig und ausgeglichen wirkte.
»Nehmen wir doch Platz.« Vaughn bot Clare einen der cremefarbenen Sessel an. Aber er wirkte ziemlich gestresst. Während die Männer sich setzten, fragte sie sich, ob die Kontrolle der Situation das war, was Vaughn noch auf den Beinen hielt. »Ich habe mit Wes geredet«, verkündete er, bevor Russ etwas sagen konnte. »Er hat Ihnen etwas mitzuteilen, Chief.«
Der junge Mann stand auf. »Sir, ich bin – ich war Katies Freund. Ich bin der Vater des Babys. Ein Test ist überflüssig. Ich trage die volle Verantwortung.«
Russ verschränkte seine Finger vor dem Gürtel. »Setzen Sie sich, Wes. Sie müssen hier nicht Rapport erstatten.« Mit aufgerichtetem Oberkörper – ohne sich anzulehnen – nahm der Junge auf dem Sofa Platz. »Dann bist du also Codys Vater. Warst du bei der Geburt dabei?«
»Jawohl, Sir. Direkt nach Thanksgiving.« Er warf einen Blick auf seinen Vater. »Meinen Eltern habe ich erzählt, ich würde ein paar Tage zu einem Freund fahren. Ich brachte Katie ins Sleeping Hollow Motel und dort … bekam sie das Kind.«
»Was passierte nach der Geburt?«, fragte Clare.
»Wir haben ein paar Tage gewartet, um sicherzugehen, dass … na ja, dass ihm nichts fehlt. Dann legten wir es auf die Treppe von St. Alban’s.«
Clare beugte sich vor. »Warum?«
Er sah sie kurz an, richtete dann seinen Blick auf einen Punkt fünf Zentimeter neben ihrem Kopf. »Wir hatten uns geeinigt, Ma’am, das Baby wegzugeben. Wir dachten – ich dachte, da die Burns sich schon so lange ein Adoptivkind wünschen, wäre es einfach … dafür zu sorgen, dass sie das Baby bekämen; dann hätten Katie und ich wieder zu unserem normalen Leben zurückkehren können.«
Clare legte zwei Finger an ihre Lippen, um ihre Reaktion auf diese Gedankenlosigkeit zu unterdrücken.
»Ich ahnte ja nicht, dass die Polizei mit hineingezogen würde!«, fuhr er fort. »Ich ahnte ja nicht, dass sie –« Er stockte. »Letzte Woche erfuhr ich von … von … ihrem Tod. Dass sie ermordet wurde. Alyson rief mich an.« Clare stellte einen auffälligen Mangel an Gefühl fest, als er den Namen seiner offiziellen Freundin erwähnte. »Sie hat gesagt, Ethan sei als Mörder von Katie verhaftet worden.«
»Ethan Stoner wurde wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und tätliche Bedrohung eines Polizeibeamten verhaftet«, verbesserte Russ. »Wegen den beiden Morden ist er nicht verdächtig.«
Wesley holte tief Luft. »Ich habe weder Katie noch ihren Vater getötet, Sir. Ich –« Ihm brach die Stimme, was daran erinnerte, dass er eigentlich fast noch ein Junge war. »Ich hatte sie sehr gern.« Er sah Clare direkt ins
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