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Das Weisse Kleid Des Todes

Das Weisse Kleid Des Todes

Titel: Das Weisse Kleid Des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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versucht, Sie zu erschießen.« Durch die offene Tür konnte Clare die Geräusche des Kaffeekränzchens hören. »Sie müssen wahrscheinlich zurück zu Ihren Schäflein.«
    »O nein!« Clare sank wieder auf ihren Stuhl. »Ich habe den Plätzchenverkauf verpasst.« Auf Russ’ Blick hin erklärte sie: »Spendensammelaktion für den Chor. Jeder bringt Plätzchen mit, und wer will, stellt sich seine eigene Mischung zusammen. Ich hatte vor, zwei Tüten zu kaufen – als leuchtendes Beispiel.« Sie versuchte, ihre Haare zu einem Knoten zusammenzufassen, aber die waren schon hochgesteckt. Also begnügte sie sich damit, die Nadeln zu überprüfen. »Da kann ich wohl genausogut verschwinden und mit Ihnen zu den Fowlers fahren. Geben Sie mir zehn Minuten zum Umziehen und für die Verabschiedung.«
    Russ sah an die Decke. »Und warum ernenne ich Sie nicht gleich zum Hilfssheriff und drück Ihnen eine Kanone in die Hand?«
    Clare stand vom Tisch auf. »Nein, danke. Aber falls es so etwas wie einen Polizeiseelsorger gibt, nehme ich die Stelle gerne an. Ich kann jeden kleinen Nebenverdienst gebrauchen, wenn ich mein Auto jemals ersetzen will.«

28
    E s war eine kurze Fahrt von St. Alban’s bis zu den Fowlers, aber lange genug, dass sich in Clares aufgeregtem Kopf die Gedanken überschlugen. Zum Glück hatte Russ die Fähigkeit, auf die Stimmungen anderer leicht eingehen zu können; er hörte Clares Geplapper über das Mutter-Kind-Projekt zu und überbrückte jede Pause mit einer Frage, damit ihr nicht zu Bewusstsein käme, dass sie in wenigen Minuten den jungen Mann zur Rede stellen würden, der vielleicht Katies Mörder war.
    Als der Streifenwagen auf die lange Zufahrt zum Haus der Fowlers abbog, gestand sie: »Das Ganze macht mich ein bisschen nervös.«
    »Ach? Darauf wäre ich nie gekommen.«
    Sie knuffte ihn in den Arm.
    »Au!«
    »Geht’s Ihnen nicht auch so? Dieses Gefühl: Das könnte er sein! Endlich!«
    »Ich hab dergleichen schon etwas öfter erlebt als Sie, Reverend. Eine Befragung, so was bringt mich völlig aus dem Häuschen.« Bei einem Seitenblick sah er, dass sie die Stirn runzelte. »Natürlich ist es etwas anderes, wenn ich glaube, dass der-oder diejenige, die ich befrage, auf mich schießen will. Ich erinnere mich noch an ein Mal, in meiner Zeit bei einer MP-Einheit in Mannheim, da untersuchten wir gerade eine Vergewaltigungsserie. Hauptverdächtiger war ein Typ, der Nahkampfunterricht gab. So jemand, der einen durch ’nen Schubs mit dem kleinen Finger außer Gefecht setzen und mit gefesselten Händen umbringen kann. Als ich zu ihm in seine Unterkunft ging – zu einer Befragung –, glaubte ich, ich würde mir in die Hose machen vor Angst.«
    »Und? Was war?«
    »Ich habe ihn überredet, mich zu dem MP-Posten zu begleiten. Wissen Sie, das sind neunzig Prozent der Polizeiarbeit: die Fähigkeit, zu quatschen, bis der Zündstoff raus ist.«
    Clare deutete auf die ordentlich geräumte, kiesbestreute Auffahrt. »Da ist es.« Sie erkannte den Explorer und die Volvo-Limousine der Fowlers. Außerdem stand vor der Scheune ein nagelneuer Jeep Wrangler. »Der muss Wesley gehören.«
    Russ parkte den Streifenwagen hinter dem Jeep und schritt gemächlich um ihn herum, während er zum Haus ging. Clare starrte in die Fenster, erblickte aber nur ihr eigenes Gesicht und verzog den Mund. Was hatte sie erwartet? Den Schneemobilanzug und einen Revolver? Sie beschleunigte ihre Schritte, um Russ einzuholen, der bereits die Vortreppe hinaufgestiegen war.
    Edith Fowler öffnete die Tür. Ihre tief liegenden Augen traten hervor wie bei einem verängstigten Pferd, das in seiner Box eingeschlossen ist.
    »Mrs. Fowler? Ich bin Chief Van Alstyne. Darf ich reinkommen?«
    Ihr Gesicht entspannte sich. Sie machte die Tür weit auf. »Aber natürlich, Chief. Reverend Clare, freut mich, Sie auch hier zu sehen.« Im Vestibül zogen sie ihre Jacken aus. »Tut mir leid, dass wir den Gottesdienst heute früh verpasst haben, aber es war … na ja …« Sie gestikulierte in Richtung Flur. »Die beiden sind im Gesellschaftszimmer.«
    Clare zog ihre Gummistiefel aus, die einzigen Schlechtwetter-Schuhe, die sie noch besaß, seit sie ihre Lederstiefeletten am Abend zuvor entsorgt hatte. Sie war froh, dass sie immer noch ihre Priesterkleidung trug. Der Kragen und die schwarze Bluse schufen einen Schutzwall, der die Frau, die durch einen eisigen Wildbach geflohen war, von der Pastorin trennte, die heute Vormittag als Ratgeber und Trösterin hier

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