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Das Weisse Kleid Des Todes

Das Weisse Kleid Des Todes

Titel: Das Weisse Kleid Des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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den Nacken hinauf und durchs Haar krabbeln. Ethan konnte sich selbst das Gehirn rausballern, bevor Russ hinter der Kuh überhaupt dazu käme, seinen Revolver hochzuheben. »Stimmt’s nicht, Ethan?«
    Der Junge war ein regloser Fleck in der Dunkelheit. Heu raschelte. Eine Kuh schlug in ihrer Box aus.
    »Ja«, sagte Ethan.
    Erst als er tief durchatmete, merkte Russ, dass er die Luft angehalten hatte. »Okay. Leg das Gewehr hin und verschränk deine Finger über dem Kopf. Wir wollen, dass jeder sehen kann, dass du diesen Stall unbewaffnet verlässt.«
    Als Ethan, die Hände über dem Kopf, an ihm vorbeiging, schlüpfte Russ aus der Box und folgte ihm. Er steckte seinen Revolver in den Holster, behielt ihn aber griffbereit. Nur für den Fall.
    Neben dem Scheunentor stand Mark Durkee. Er richtete sein Gewehr auf Ethan. »Ethan Stoner, Sie sind verhaftet«, sagte er. Sein Blick flatterte zu Russ. »Chief?«
    »Alles okay, Mark. Bitte bringen Sie Ethan zum Wagen. Ich werde mit seinen Eltern reden.« Er öffnete das Gatter, während Mark dem Jungen seine Rechte vorlas. Am Fuß der Auffahrt blitzte das Rotlicht eines Streifenwagens aus Millers Kill. Lyle und Ed stiegen aus. Wayne und Mindy standen auf der Veranda, hielten einander umschlungen und spähten durch die Dämmerung zum Stall. Weit unten auf der Straße konnte Russ eine zweite Sirene näher kommen hören. Er war fix und fertig, zitterte und seine Beine schienen zu schwer, um ihn den Weg hinab und durch den Hof zu tragen. Die schneidende Dezemberluft, die Lichter des Hauses auf dem glitzernden Schnee, der Lärm der Stimmen – all das brach über ihn herein. Es war schön, noch am Leben zu sein. Er setzte ein gequältes Lächeln auf und ging den langen, langen Weg zur Haustür.

    Clare lächelte, als sie sah, dass die Einfahrt zum Polizeirevier gründlich geräumt worden war. Sie lenkte ihr Auto über den Bordstein in eine Parklücke. Sie brauchte wirklich einen Wagen, der nicht stecken blieb, wenn jemand Schneebälle vor die Reifen warf. Doch ein neues Auto konnte sie sich nur leisten, wenn sie ihr altes verkaufte. Und diese Vorstellung war niederschmetternd. Einen heißeren Flitzer als diesen MG hatte sie im Leben nicht gehabt; nur Fliegen war schöner. Wenn sie da an die dunklen, gesichtslosen amerikanischen Mittelklassewagen dachte, die viele ihrer Seminarlehrer gefahren hatten … Klerusmobile. » Bamby, climb inside my car«, sang sie, während sie den Gehsteig entlangschlenderte. Ein Angestellter, der gerade das Rathaus nebenan verließ, betrachtete ihren Kragen und runzelte die Stirn. Wahrscheinlich Baptist. Clare zwinkerte ihm zu, bevor sie die Treppe zum Polizeirevier hinaufstürmte.
    Drinnen zog sie ihre Jacke aus. »Harlene?«, fragte sie und ging in die Funkzentrale. »Ist der Chief schon weg? Ich hatte gehofft, ihn –« Harlenes Gesicht ließ sie verstummen. »Was ist denn?«
    »Eigentlich sollte ich noch nichts bekannt geben«, antwortete Harlene mit einer zerknitterten Miene, die in seltsamem Widerspruch zu ihren förmlichen Worten stand.
    »Harlene, ist jemand etwas zugestoßen? Bitte …«
    Die Leiterin der Zentrale schob ihren Kopfhörer über die grauen Locken nach hinten. »Der Chief ist losgefahren, um Ethan Stoner zum Vaterschaftstest abzuholen, und der Junge hat ihn mit einer Schrotflinte bedroht.«
    Der Rest des Raumes verschwamm, und nur Harlenes Gesicht trat gestochen scharf hervor. Clare konnte jeden Leberfleck, jedes Härchen, jedes Fältchen um die Lippen, jedes Fünkchen Licht auf den Wimpern erkennen und blinzelte, immer und immer wieder.
    »Und dann?« Ihre Stimme klang ruhig.
    »Ich weiß es nicht. Sie sind jetzt beide im Stall. Mindy Stoner hörte einen Gewehrschuss, aber seitdem gibt’s keine neuen Nachrichten.«
    Clare nickte. Nickte weiter, während ihr die verschiedenen Möglichkeiten durch den Kopf jagten. »Harlene«, sagte sie, »ich wäre Ihnen dankbar, wenn ich dableiben dürfte. Ich möchte gern erfahren, ob … irgendwas passiert ist.«
    Harlene deutete auf einen alten Bürosessel neben dem Aktenschrank. »Bitte, setzen Sie sich. Offen gestanden bin ich froh über Ihre Gesellschaft.« Clare schob die Jacke unter den Sessel und nahm Platz. Beide Frauen sahen einander an.
    »Wer hat –«, begann Clare.
    »Glauben Sie –«, sagte Harlene. Sie lächelten schwach. »Bitte. Sie zuerst.«
    »Wer wurde als Verstärkung hingeschickt?«
    »Drei von unseren Beamten. Auch der Bezirkssheriff schickt gerade ein, zwei Wagen, und

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