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Das Weisse Kleid Des Todes

Das Weisse Kleid Des Todes

Titel: Das Weisse Kleid Des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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es waren … die Jeans und sein Sweater. »Sie sind ja in Zivil!«, sagte Clare. »Ich konnte Sie mir nur noch wie den Sheriff von Mayberry vorstellen, Sie wissen schon, den armen tollpatschigen Polizisten aus dieser alten Fernsehserie: stets in brauner Montur.«
    Er lachte. »Dann haben Sie ihn offensichtlich nicht genau genug angeschaut. Zum Angeln trug er Jeans und Karohemd.« Russ sah über ihre Schulter. »Wo ist Ihr Wagen?«
    Sie zog eine Grimasse. »Ich wollte nicht riskieren, dass er stecken bleibt, deshalb habe ich unten an der Straße geparkt und bin zu Fuß hierher gekommen.«
    Russ ließ sie in den Hausflur treten. »Und auch noch mit Lederjacke und Ihren, ach, so zweckmäßigen Stiefeln.« Sie sah auf ihre durchweichten, salzfleckigen Wildlederstiefeletten. »Apropos ›nicht wetterfest‹: Sie sind schlimmer als ein kleines Kind. Ich werde Ihnen ein paar Fäustlinge an einer Halsschnur besorgen, so bleiben wenigstens Ihre Hände warm.«
    »An die wichtigen Sachen hab ich alle gedacht«, entgegnete sie und hielt ein Sechserpack Mikrobrau-Bier hoch, das sie mit einem dumpfen Schlag auf den Boden stellte. Dann bückte sie sich, um ihre Schuhe auszuziehen. »Ich hätte ja auch meinen warmen Parka anziehen können. Aber der ist leider Polizeieigentum, und ich hatte Angst, Sie konfiszieren ihn gleich.« Sie reichte ihm ihre Jacke.
    »Diebesgut.« Er hängte die Jacke an einen der vielen Wandhaken.
    »Ich würde ihn lieber als Dauerleihgabe betrachten.«
    »Situations-Ethik.« Er öffnete die Küchentür.
    »Oh. Ein Holzofen!«, sagte sie. »So einen hab ich mir schon immer gewünscht. Die sollen ja toll zum Brotbacken sein.«
    »So ungern ich Ihnen Ihre Illusionen raube, aber das Einzige, was wir damit machen, ist heißes Wasser.« Er zog eine Flasche Bier aus dem Pappträger und klappte ein Schränkchen auf, um Gläser herauszunehmen.
    »Ich dachte, Ihr Haus wäre zweihundert Jahre alt«, sagte Clare, als Russ eine Literflasche Soda auf den Tisch stellte. »Diese Küche wirkt mehr nach den Vierzigern.« Der Boden bestand aus altem, mit großen Blumen gemustertem Linoleum, die Wände und die wandhohen Schränke aus warm schimmernder Fichte. An den Fenstern über der Spüle und über dem Tisch hingen Obst-und Blumendrucke, die Clare an die alten Geschirrtücher in der Küche ihrer Großmutter Avery erinnerten. Dazu passende stoff-überzogene Kugeln baumelten an den Immergrüngirlanden, die die Vorhangstange zierten.
    »Sie haben ein scharfes Auge«, sagte Russ, während er das Bier einschenkte. »Mitte der Vierziger wurde hier die erste moderne Küche eingebaut. Davor gab es nur die Sommerküche auf der anderen Seite des Hausflurs und eine Speisekammer. Ich hab die Backsteinwand und den Kamin für den Holzofen gemauert, aber sonst haben wir die so genannten Verbesserungen der letzten Besitzer einfach nur rausgerissen, bis auf die Grundmauern.« Er reichte ihr ein Glas. »Das hätten Sie sehen sollen. Vinylböden, und sämtliche Balken im Pueblo-Stil gestrichen. Hat mich drei Monate gekostet, um auf die Kiefer durchzukommen.«
    Clare setzte sich an den runden Eichentisch und tippte mit ihrem Finger an den winzigen Christbaum, der als Tafelaufsatz diente. »Mir gefällt’s, so wie’s jetzt ist. Wie eine bunte warme Steppdecke, die die Kälte abhält.«
    »Ha.« Er nahm ihr gegenüber Platz. »Das werde ich Linda sagen. Sie ist hier fürs Interieur zuständig. Ich bin bloß der ausführende Handwerker.« Er trank aus einem hohen Wasserglas. Clare stützte ihr Kinn in die Hand und betrachtete ihn. Er wirkte fit durch das Leben an der frischen Luft und war vom letzten Sommer noch leicht gebräunt. Sein dunkelbraunes Haar schimmerte kupfern bis goldfarben. Sie musste Lois Recht geben: Die Nase war zu groß und seine Lippen zu dünn, um ihn als attraktiv zu bezeichnen. Doch er sah aus wie jemand, der sich seit vierzig Jahren und ein paar zerquetschten in seiner Haut wohl fühlte.
    »So«, sagte sie.
    »So«, stimmte er zu. Seine Augen waren nationalfeiertagsblau, hell und strahlend. Dahinter konnte sie aber erkennen, wie etwas sich bewegte, vergleichbar den Seiten eines Buches, das niemand lesen durfte.
    »Wie geht es Ihnen?«, fragte sie.
    Er trank noch einen Schluck Soda. »Prima. Niemand kam zu Schaden, und Ethan sitzt im Gefängnis. Ich werte das als Sieg für die gute Seite.«
    »Haben Sie schon mit Ihrer Frau telefoniert? Um ihr zu sagen, was passiert ist?«
    Er schüttelte entschieden den Kopf.

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