Das Weisse Kleid Des Todes
sah Clare an. »Es ist Darrell McWhorter. Er wurde erschossen.«
15
H atte Katie McWhorter im Tod einer zu Eis gefrorenen Prinzessin geglichen, so wirkte ihr Vater wie ein Straßenkadaver. Russ versuchte, irgendein menschliches Gefühl für den Leichnam zu empfinden, verspürte aber nur Ärger, weil Darrell gestorben war, bevor er noch mehr Informationen aus ihm hatte herausholen können; Ärger und die Überzeugung, dass die Welt – oder zumindest sein kleines Eckchen darin – heute Nacht ein bisschen sauberer geworden war.
Russ und Clare waren als Letzte am Tatort eingetroffen, der alten Schuylerville Road. Durkee und Flynn hatten bei der Sicherung des Geländes gute Arbeit geleistet, mit Absperrband, Warnlichtern und Pylonen, um den sporadischen Verkehr auf die Gegenfahrbahn umzuleiten. Die Spurensicherung der State Troopers war bereits zur Stelle – diesmal zwei Männer, typisch; es ging ja nicht darum, die Ausrüstung eine halbe Meile in den Wald zu schleppen. Sie durchsuchten, so schnell sie konnten, den Schnee, der die Reifen-und Fingerabdrücke schon halb bedeckte und Darrell in einen undeutlichen Haufen verwandelte. Russ schlug seinen Kragen hoch, weil ihm die dicken Flocken bereits in den Nacken fielen, und wünschte, er hätte seinen Hut mitgenommen. Die Schneeflocken landeten auf seiner ungeschützten Brille, sodass die ganze Szenerie ein Kaleidoskop aus roten Lichtspritzern und weißem Schleier wurde.
Darrell war durch einen einzigen Revolverschuss, nur Zentimeter von seinem Hinterkopf entfernt, gestorben. Er hatte den Reißverschluss seiner Jacke offen gehabt und war mit dem Gesicht nach vorn in die kleine Parkbucht gefallen, knapp neben die Leitplanke. Zwischen seinen Fingern steckte eine halb aufgerauchte Zigarette, die jetzt, als durchgeweichte Kippe, in einem Plastiktütchen in der Beweismittelkiste lag.
»Was meinen Sie dazu?« Mark Durkee schwenkte seine Taschenlampe in Richtung des Beamten, der methodisch den Schnee zwischen Leiche und Fahrbahn durchsuchte.
»Ich meine, da drin findet der eher ’nen Lottoschein für den Jackpot als eine Patronenhülse«, antwortete Russ. »Schätze, wir können nur Däumchen drücken und hoffen, dass Dvorak uns nach der Autopsie Informationen zur Ballistik liefern kann.«
»Ich wollte eigentlich wissen: Was glauben Sie, was passiert ist?«
Russ warf einen Blick auf die Straße, vorbei an dem Rettungswagen mit seinen gesichtslosen Sanitätern in Schneeanzügen und vorbei an dem Pickup, in dem Clare vor Wut kochte, weil er ihr befohlen hatte, im Wagen zu bleiben. »Er hat in einem Auto gesessen«, sagte Russ, im Geist die Szene rekonstruierend. »Und zwar nicht seinem eigenen. Der Mörder saß am Steuer. McWhorter hat Lust auf ’nen Glimmstängel. Sie sind irgendwohin unterwegs … nach außerhalb. Er will auf die nächste Nikotindosis nicht bis zur Ankunft warten. Der Mörder sagt: ›Hier drin wird nicht geraucht. Aber ich fahr da vorne mal rechts ran, dann können Sie aussteigen und eine qualmen.‹ Gesagt, getan. Sie steigen aus. Vielleicht möchte der Mörder Schnee von der Heckscheibe fegen oder die Scheibenwischer von dem Eis befreien. Es kommt gerade kein anderes Auto vorbei. Das ist die Gelegenheit, und der Mörder packt sie beim Schopf. Peng!, knallt er den Mann ab, steigt wieder in seinen Wagen und fährt davon. Falls jemand den Schuss gehört hat, wird er glauben, es wäre eine Fehlzündung oder irgendein Jäger gewesen.« Russ sah über die Leitplanke, wo ein paar verkümmerte Sumachsträucher die Böschung hinab in eine Talsohle wuchsen. Auf dem Hang gegenüber, etwa eine Meile entfernt, erkannte er die Lichter von zwei, drei Bauernhöfen. »Ist dick was runtergekommen. Hätte der Mörder noch ein bisschen mehr Glück gehabt, dann wäre Darrell von den Räumfahrzeugen unter ’nem Schneehügel begraben worden.«
»Da war jemand sehr cool. Jemand, der zwei und zwei schnell zusammenzählen kann.«
»Ja. Oder jemand, der so oft geträumt hat, McWhorter abzumurksen, dass sie bereit war, den günstigen Moment zu nutzen.«
»Sie?«
»Klar. Sei nicht sexistisch, Mark. Glaubst du, nur Männer könnten morden?«
»Nein, zum Teufel. Ich bin verheiratet.«
Russ lachte. Der Kriminaltechniker winkte ihnen zu. »Wir haben jetzt alles, was wir kriegen können«, rief er. »Sagen Sie den Sanitätern, sie dürfen ihn einpacken.« Durkee nickte und stapfte durch die höher werdenden Schneewehen zu dem Rettungswagen.
Ein Kleinbus kam die Straße
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