Das Weisse Kleid Des Todes
lauerte auf die große Chance. Warum mit jemandem über eine einsame Landstraße fahren, der heute Morgen schrie, er werde ihn umbringen?«
Russ versuchte, einen plausiblen Grund zu finden. Er spürte undeutlich das frustrierende Gefühl, dass dieser Fall immer komplizierter wurde. Es war ein langer, anstrengender Tag gewesen, er wollte nach Hause und ins Bett gehen und halb gefrorene Leichen, blutigen Schnee, Flinten schwingende Jugendliche und Schwestern, die heulten, bis es ihnen schwarz über die Wangen lief, vergessen.
»Der Northway – das ist doch die Autobahn, die vom Süden aus durch den ganzen Staat führt, stimmt’s?«
»Stimmt. Die Route Eighty-seven.«
»Man kommt darauf nach Albany.«
»Ja …«, sagte er kopfnickend. Sein Gehirn arbeitete langsam, aber zuverlässig. »Katies Sachen. McWhorter und der-oder diejenige, die ihn umgebracht hat, könnten nach Albany unterwegs gewesen sein, um etwas aus Katies Haus zu holen.«
»Sie waren noch nicht dort, oder?«
»Nein, dafür ist die Polizei von Albany zuständig.« Und dann endlich begriff er. »Sch-scheiße!« Er schnappte sich sein Funkgerät. »Wissen Sie noch die Adresse?«
Clare hob hilflos die Hände. Russ schaltete das Mikro an. »Hier Chief Van Alstyne, Polizei Millers Kill. Dringend! Können Sie mich direkt mit Funkstreife Fünfzig-sieben-fünfzehn verbinden?«
Ein grelles Rauschen. Dann ertönte Kevin Flynns Stimme aus dem Lautsprecher. »Fünfzig-sieben-fünfzehn. Ich höre.«
»Kevin? Hier ist der Chief. Streicht die Burns vorerst. Ich will, dass du und Mark ins Revier fahren, euch die Katie-McWhorter-Akte besorgt und die Anschrift ihrer Studentenbude in Albany raussucht. Dann fahrt ihr mit Blaulicht und Sirene nach Albany und lasst sofort jemanden dorthin schicken. Ich glaube, McWhorters Mörder könnte dieses Haus ansteuern.«
»Zehn-vier, Chief. Fünfzig-sieben-fünfzehn, Ende.«
Clare sah aus dem Fenster auf die schneebedeckte Straße. »Meinen Sie, die erwischen vielleicht den Mörder?«
»Vielleicht. Der Notarzt konnte den Zeitpunkt des Todes nicht genau bestimmen. Schnee und Kälte machen eigenartige Sachen mit der Körpertemperatur. Aber ich wette, länger als drei Stunden ist der Mord nicht her. Falls der Schneefall den Mörder behindert hat und er sich in Katies Wohnung Zeit lässt, dann stoßen die Typen aus Albany vielleicht mit der Nase auf ihn. Einen Versuch ist es allemal wert.«
»Und was haben Sie jetzt vor?«
»Ich? Ich werde Sie jetzt am Pfarrhaus absetzen. Glauben Sie, Sie hätten einen Freifahrtschein für den ganzen Ermittlungsprozess?«
Offensichtlich glaubte sie das. Nicht, dass ihre Argumente unwiderlegbar gewesen wären. Sie weigerte sich auch nicht direkt, den Pick-up zu verlassen. Aber irgendwie war sie immer noch dabei, als Russ beim Haus der Burns nach dem Rechten sah und das Licht in den Fenstern sowie die zwei Fahrzeuge in der Einfahrt registrierte. »Das heißt nicht, sie hätten nichts damit zu tun«, sagte er zu ihr, selbstgefällig lächelnd. »Es bedeutet nur, dass sie momentan nicht in Albany sind.« Er schickte noch einen Funkspruch ins Revier; Durkee und Flynn sollten bitte zu den Burns rüber, wenn sie die Polizei in Albany erreicht hatten. »Und, um Himmels willen, sorgt dafür, dass mich jemand aus Albany verständigt, falls sie irgendwen erwischen!«, beendete er seine Durchsage.
Clares Lächeln verflog, als sie zu Kristen McWhorters Wohnsiedlung hinauffuhren. »Was hat sie denn für ein Auto?«, fragte Russ, als sie an einer dicht gedrängten, zweistöckigen Häuserzeile vorbeifuhren.
»Einen neunundachtziger Honda Civic«, antwortete Clare, während sie Kondenswasser von der Scheibe wischte und versuchte, Kristens Wagen irgendwo auf dem Parkplatz zu erspähen. »Schwarz.«
»Seh ich keinen.«
Bei der erstbesten Parklücke hielten sie an, um zu warten. Nach einer Weile schaltete Russ das Radio ein und drehte daran herum, bis er einen Sender ohne Musik fand. Ein Mann mit markanter Stimme erteilte gerade Geschäfts-und Investment-Ratschläge an Anrufer, die sich mit Namen wie »Randy aus Salt Lake City« vorstellten und jedes Gespräch mit dem Satz begannen: »Ich habe dreißigtausend Dollar in festverzinslichen Anleihen übrig …« Die Sendung wurde häufig durch Werbung für Genossenschaftsfonds und durch den lokalen Wetterbericht unterbrochen, der sich mit dem Satz zusammenfassen ließ: »Es kommt dick, und es kommt noch dicker.«
»Ich kann nicht glauben, dass Kristen
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