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Das Weisse Kleid Des Todes

Das Weisse Kleid Des Todes

Titel: Das Weisse Kleid Des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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’n goldiges Ding gewesen sein.«
    »Liebe Güte, nein. Ich war das hässliche Entlein. Meine Schwester hatte alle Schönheit abgekriegt.«
    Er schüttelte den Kopf. »Hässliches Entlein gibt’s keines.« Er brach noch ein Stück Brot ab. »Und ich habe Fotos von Ihrer Schwester gesehen. Sie ist hübsch gewesen, ja, aber nicht hübscher als hundert andere auch. Sie« – er fuchtelte mit dem Brot in der Luft herum, als würde er Clare zeichnen – »Sie sind … eine Persönlichkeit. Wer Sie sind, strahlt direkt aus Ihrem Gesicht.« Er steckte sich das Brot in den Mund und beobachtete amüsiert, wie Clare errötete. »Sie sind eine wirklich gut aussehende Frau, Reverend.« Clare schlug sich die Hände auf die Wangen. Er lachte.
    Mit einem lauten Schnauben sprang sie vom Tisch auf, um Nachschub in die Terrine zu schöpfen. »Sie hätten meine Mutter mal sehen sollen. Die liiiebt« – sie sprach mit gedehntem Südstaatenakzent – »Männer, die Süßholz raspeln.« Sie drehte sich um und klimperte so heftig mit den Wimpern, dass fast ein Luftzug entstand. »Noch Eintopf, Chief?«
    Er übergab ihr seinen Teller. »Ja. Klingt, als fehlte Ihnen Ihre Familie.«
    »Manchmal.« Sie stellte ihm seine Portion hin und setzte sich. »Und dann wieder bin ich froh, dass Distanz zwischen uns liegt. Mein Entschluss, Pastorin zu werden, unmittelbar nach Grace’ Tod, hat sie schockiert. Sie hatten sich etwas anderes gewünscht.«
    »Das können Sie ihnen nicht verübeln. Wer Priester wird, gibt damit viel auf.« Er blies über einen Löffel voll Eintopf. »Alle Eltern wünschen ihren Kindern das Gleiche, was sie haben: Ehe und Familie. Ich weiß, meine Mom bedauert, dass Linda und ich niemals Kinder bekamen.«
    Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und neigte den Kopf zur Seite. »Ehe und Familie?«
    »Sie wissen schon; das alles aufgeben, um Priester zu werden …«
    Clare grinste, versteckte dieses Grinsen aber rasch hinter ihrer Hand. »Mir scheint, Sie unterliegen da einem Missverständnis. Episkopalpriester legen kein Keuschheitsgelübde ab. Wir können heiraten, Kinder bekommen, das volle Programm.«
    »Was?« Er ließ seinen Löffel in die Schale fallen und starrte Clare an. »Aber der alte Pastor, den Sie abgelöst haben, der war doch ewig hier und hat nie –«
    »Manche Priester entscheiden sich fürs Zölibat. Aber es ist nicht mehr als das: eine freie Entscheidung. Kein Muss.«
    »Na, das schlägt doch dem Fass den Boden aus.« Russ beobachtete, wie sie ein Stück mit Soße durchtränktem Brot verschlang. Er wurde unruhig und ärgerlich, als hätte sie ihm bewusst die Wahrheit verheimlicht. Er versuchte, sich vorzustellen, wie sie mit einem Mann ausging, aber da ließ ihn seine Fantasie im Stich. »Das heißt, die Leute nennen Sie dann einfach ›Pastor‹, ohne das Brimborium mit ›Hochwürden‹, weißem Kragen et cetera.«
    Clare seufzte, schob ihren Stuhl zurück und eilte ins Wohnzimmer. »Moment!« Eine Minute später tauchte sie wieder auf, um ihm ein großes Taschenbuch zu geben.
    » Geschichte und Gebräuche der Episkopalkirche in Amerika«, las er. »Klingt ja wie ’n echter Reißer.«
    »Wenn ich mein Wissen über das Volk der Irokesen erweitern kann, dann können Sie auch dieses Buch über meine Kirche lesen. Und jetzt essen Sie den Eintopf auf, dann gibt’s zum Nachtisch Kürbiscreme.«
    Er lehnte dankend ab, denn seine Taille hatte nach zu üppigem Essen die Neigung, die Wäsche einlaufen zu lassen. Umgekehrt verzichtete Clare auf sein Angebot, beim Abwasch der Töpfe und Pfannen zu helfen, erlaubte ihm jedoch, den Geschirrspüler einzuräumen.
    »Möchten Sie Kaffee?«
    »Nein. Besser, ich gehe jetzt. Es ist schon spät.« Er schlüpfte wieder in Stiefel und Parka. »Danke fürs Essen.«
    »War mir ein Vergnügen. Gesellschaft würzt die Mahlzeit, wie Oma Fergusson immer sagte.«
    Er streckte seine Hand aus, genau als sie die Arme verschränkte. Dann wollte sie ihm die Hand geben, da steckte er seine gerade in die Taschen. Das war ja lächerlich! Schließlich griff er zu und schüttelte ihre Hand wie bei einem Rotarier-Treffen. Trotz der Essensdüfte, die noch in der Luft hingen, konnte er Clares Geruch wahrnehmen: frisch und grün wie gemähtes Heu auf dem Feld seines Schwagers. »Gute Nacht dann«, sagte er und riss so kraftvoll die Tür auf, dass er die Angeln auf Holz knirschen hörte. Clare und er schauten zum Türpfosten. Stirnrunzelnd drehte Russ sich um. »Und, um Himmels willen,

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