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Das Weisse Kleid Des Todes

Das Weisse Kleid Des Todes

Titel: Das Weisse Kleid Des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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machen wollte, aber zögerte, seine Schuhe auszuziehen.
    »Oh, runter mit den Dingern, und setzen Sie sich ein Weilchen«, sagte sie, als könnte sie seine Gedanken lesen. Während er sich nach den Schnürsenkeln bückte, hörte er Clares tiefen Atemzug. »Ich wollte mich wegen gestern Nacht entschuldigen«, begann sie. »Eigentlich breche ich nie zusammen. Es war ein schlechter Zeitpunkt, und es tut mir leid.« Man könnte meinen, sie hätte diese Rede einstudiert.
    Russ richtete sich auf, um aus seinen Stiefeln zu schlüpfen. »Nie? Brechen Sie nie zusammen und weinen mal?«
    Clare stieg die Röte ins Gesicht. »Na gut, fast nie. Jedenfalls nicht bei jemandem, den ich erst so kurz kenne.« Sie schlug sich die Hände auf die Wangen. »O Gott, wie peinlich.«
    Er setzte sich auf einen der vier Holzstühle, die um den Küchentisch standen. »Komisch. Kommt einem gar nicht so vor, als würden wir uns erst kurz kennen. Oder?«
    Sie zwinkerte. »Ehrlich? Nein. Tut’s nicht.«
    Er breitete die Hände aus. »Wissen Sie noch, was Sie mich gestern Abend fragten? Bei wem ich mich ausspreche?«
    Sie lächelte schwach, dann lachte sie, was eher einem Ausatmen glich. »Sie wollen mich auf den Arm nehmen, stimmt’s? Das ist auf mich gemünzt. Okay, okay, Sie haben ja Recht. Wahrscheinlich brauche ich mich nicht zu entschuldigen, dass ich Sie als seelischen Mülleimer benutzt habe.«
    »Ich wette, wenn jemand das bei Ihnen täte, dann würden Sie ›sich anvertrauen‹ oder ›sein Herz ausschütten‹ sagen.« 
    »Hm.« Clare wandte sich dem Herd zu und gab aus einer eisernen Bratpfanne geschmorte Pilze in den Soßentopf.
    Die Pfarrhausküche war ganz in verblasstem Weiß gehalten, mit einem stumpfen weißen Linoleumboden, schmucklosen weißen Schränken inklusive Kühlschrank und einem ebensolchen Geschirrspüler neben dem Abwaschbecken. Der Raum, schätzte Russ, war vor zirka zwanzig Jahren so billig und neutral wie möglich eingerichtet worden. Erinnerte ihn an Armeewohnungen.
    Clare wirkte der Monotonie offenbar entgegen, indem sie Fotos, Zeitungsausschnitte und Witzbilder an die Kühlschranktür und eine Reihe gerahmter Drucke an die Wand gehängt hatte, von denen jeder ein bestimmtes Gemüse zeigte: eine unnatürlich dicke Mohrrübe, eine sinnlich-üppige Aubergine, eine feuerrote Tomate.
    Auf der weiß-grau marmorierten Tischplatte standen purpurne und gelbe Blechdosen neben Einmachgläsern voll exotischer Marmelade. Der Soßentopf, in dem Clare energisch rührte, war stechend kobaltblau, und es duftete daraus, dass Russ sich in die Provence versetzt wähnte.
    Sie drehte sich gerade rechtzeitig wieder herum, um seinen Gesichtsausdruck zu sehen. »Hunger?«, fragte sie lachend. »Warum bleiben Sie nicht zum Essen?«
    »O nein. Nein, das geht nicht«, antwortete er möglichst wenig überzeugend.
    Clare öffnete den Kühlschrank, nahm ein Stück Käse heraus und ließ es vor Russ auf ein Küchenbrettchen fallen. »Sie können den Parmesan reiben.« Dann stöberte sie einen Moment in einer der Schubladen, um ihm etwas zu reichen, das wie ein Rührstab aussah, aber ohne Quirl. »Stecken Sie einfach ein Stück Käse in die Öffnung dort und drehen Sie die Kurbel«, sagte Clare. »Den Rest erledigt das Ding selber. Mahlt auch Haselnüsse.«
    Sie öffnete die Ofenklappe und setzte eine nach Brot duftende Dampfwolke frei. Russ’ Magen knurrte wie ein Hund, der um Futter bettelt. »Gleich fertig«, verkündete sie, schloss die Klappe noch einmal, holte ihr Glas Wein und lehnte sich an die Arbeitsplatte. »Ich war heute mit Kristen McWhorter bei ihrer Mutter.«
    »In dieser Rumpelkammer? Mein Gott – ’tschuldigung –, Sie sollten nicht allein dort in der Gegend rumziehen. Und, um Himmels willen, bleiben Sie dieser Familie fern, bis wir den Fall McWhorter erfolgreich abgeschlossen haben.«
    »Um Himmels willen? Um Himmels willen sollte ich ihr fernbleiben?« Sie grinste ihn an. Er schüttelte den Kopf, schob sich die Brille auf die Nase und widmete sich dem vertrackten Apparat, den sie ihm gegeben hatte.
    »Wie gesagt, ich war bei Brenda McWhorter zu Besuch, und sie erzählte mir, dass in der Zwischenzeit, als Darrell und ich uns in St. Alban’s trafen, und der Entdeckung seiner Leiche – dass Darrell da einen Mann kontaktiert hätte, der angeblich Codys Vater ist. Wie es scheint, hat er ihn und Katie irgendwann zusammen gesehen, bevor sie aufs College ging. Brenda wusste allerdings nichts Näheres. Offenbar meinte Darrell,

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