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Das Weisse Kleid Des Todes

Das Weisse Kleid Des Todes

Titel: Das Weisse Kleid Des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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sie mit Industrie-Abwässern beschmiert? Er hatte Recht: Sie würde sich einen neuen Wagen zulegen müssen. Sie konnte regelrecht hören, wie das Salz das Fahrgestell zerfraß.
    Rasch sah sie auf die Wegbeschreibung, die Deborah McDonald ihr gegeben hatte. »Ihr Besuch wäre mir eine Freude, Reverend«, hatte die Pflegemutter während des kurzen Telefonats zu ihr gesagt. »Ich bin schon auf alle mögliche Art zu Pflegekindern gekommen, aber noch nie, weil man ein Kind auf einer Kirchentreppe ausgesetzt hat. Ein Wunder, dass Sie da waren – wirklich, davon bin ich überzeugt: Es war ein Wunder.« Clare packte den Lenker fester und betätigte mit ihrem Daumen den Knopf, wodurch blaues Frostschutzmittel auf die Windschutzscheibe gespritzt wurde.
    Das Haus der McDonalds mit seinen vinylgestrichenen Seitenwänden wirkte wie aus irgendeinem dicht besiedelten Vorort gepflückt und spaßeshalber auf einem windigen, von Weideland umgebenen Hang abgesetzt: eine Bastion in der Wildnis. Zwei lebensgroße Schneemänner flankierten die Vortreppe, und ein Sperrholz-Nikolaus samt Rentier minderte durch nichts die Einsamkeit des Gebäudes, dessen einziger Nachbar eine Milchviehzucht eine halbe Meile weiter unten an der Straße war.
    Die Frau, die auf Clares Klopfen hin die Tür öffnete, stellte wie ihr Zuhause eine verwirrende Mischung aus unansehnlich und vertrauenerweckend dar. Schlicht, kantig, mit dichter Dauerwelle und kaffeebraunen Augen, in einer dieser atmungsaktiven Polyesterhosen und einem Pulli, der mit Kuschelbärchen bestickt war. Deborah McDonald lächelte breit, als sie Clares Hände in die ihren nahm.
    »Sie müssen die Pastorin sein. Wie es mich freut, Sie zu sehen. Nur immer hereinspaziert!« Ihre Küche war auf ländliche Art hübsch und makellos. »Gerade habe ich zu Keith gesagt – Keith, das ist mein Mann –, von all meinen kleinen Schützlingen wurde noch nie einer auf einer Kirchentreppe ausgesetzt. Gott sei Dank, dass Sie da waren. Aber ziehen Sie doch Ihren Mantel aus! Kann ich Ihnen einen Kaffee anbieten? Heißen Kakao? Sie müssen mir unbedingt sagen, wie ich Sie anreden soll. Unser Pfarrer wird einfach nur Mr. Simms genannt – wir sind in der Kirche Christi –, aber ich weiß, Sie sind da vielleicht anders. Wir hatten auch schon weibliche Priester. Nicht hier natürlich. Mir ist, als hätte ich im Evangel mal gelesen, es gab eine Pastorin in New Jersey.«
    Clare nahm den Kaffee freundlich dankend an. Die Gänse, die am Tassenrand entlangmarschierten, erinnerten sie an das Geschirr in Russ’ Büro. »Nennen Sie mich Clare. Bitte. Ich danke Ihnen, dass Sie mich empfangen, Mrs. McDonald.«
    »Deborah, sagen Sie Deborah zu mir. So viele Jahre, und ›Mrs. McDonald‹ klingt für mich immer noch wie meine Schwiegermutter, obwohl die schon achtzig ist und jetzt drüben im Pflegeheim lebt.« Sie deutete mit einem Nicken des Kopfes auf ein Brett voller Fotos von Säuglingen, Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. »Nach all den Babys, die ich schon hatte, kommt mir ›Mom‹ natürlicher vor als mein eigener Name.«
    Clare begutachtete die Gesichter an der Wand. »Sieht nach ziemlich vielen aus. Die hielten Sie bestimmt auf Trab.«
    Deborah lachte. »Das tun sie bis heute. Alle Jahre wieder habe ich mir vorgenommen, meinen Kindern etwas zu Weihnachten zu stricken. Mützen, Schals, Fäustlinge, lauter solche Sachen. Im Januar fange ich damit an. Jetzt fehlen nur noch drei. Vier, Cody eingerechnet. Für ihn mache ich ein Mützchen.«
    Clare, deren einzige handwerkliche Fähigkeit im Lackieren von Möbeln bestand, hätte den Namen des Babys fast nicht registriert, während sie über die Größe des beschriebenen Geschenkprojekts nachsann. Cody. Richtig. »Schläft er gerade?«
    »Guter Gott, ja, sonst wäre er nicht zu überhören. Er ist ein lautes Kind, möchte immer mit uns reden.« Deborah wies zu dem Türbogen, der von der Küche ins Wohnzimmer führte. »Und wenn er ein Geräusch macht, hat er auch immer so ein süßes Gesicht, als würde er nachdenken: ›Wer hat das gesagt?‹« Sie führte Clare durch einen teppichbelegten Flur in das Kinderzimmer, das weiße Wände hatte und in dem zwei Bettchen standen. Fenster und Bettchen waren mit einer Fülle von Unterrockstoff verhängt, und tanzende Bären säumten die Wände wie Lebkuchenmänner.
    Cody lag ausgestreckt da, sodass sein rundes Bäuchlein unter dem flauschigen blauen Schlafanzug hervorlugte. »Donnerwetter! Der ist aber gewachsen. Ich

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