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Das weiße Mädchen

Das weiße Mädchen

Titel: Das weiße Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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mich, Sie kennenzulernen«, sagte er, nachdem Lea sich vorgestellt hatte. »Seien Sie willkommen in meinem Haus! Ich hoffe, es gefällt Ihnen.«
    »Sehr«, gab Lea zurück und ließ den Blick über die zahllosen Blumen schweifen.
    Der alte Mann lächelte, halb geschmeichelt, halb entschuldigend. »Die Rosen   … ja, ich gestehe meine Schwäche für sie. Rosen sind mein Hobby. Ich züchte sie seit Jahren, allerdings nicht für den Verkauf, sondern zu meinem ganz eigenen Vergnügen.«
    »Unser Gast hätte eine Frage an dich«, warf Kai ein. »Sie ist nämlich Reporterin.«
    Rudolf Zirner hob die Augenbrauen. »Oh!« Er wies auf einen Sessel gegenüber dem Couchtisch. »Setzen Sie sich doch.«
    Mit einer gewissen Befangenheit nahm Lea Platz, während der alte Mann sich mit einem Seufzen auf die Couch sinken ließ. Kai, für den kein Sitzplatz übrig blieb, lehnte mit lässig verschränkten Armen im Türrahmen.
    »Sie sind Journalistin? Was schreiben Sie denn?«, fragte Rudolf Zirner.
    »Lokalangelegenheiten«, antwortete Lea. »Eigentlich im Lüneburger Raum, aber ich hörte zufällig von einerAngelegenheit hier im Wendland, die mein Interesse erregt hat.«
    Zirner lächelte. »Meine Rosenzucht wird es wohl kaum gewesen sein.«
    »Ähm, nein«, gab Lea zu. »Es geht um das sogenannte weiße Mädchen – die Erscheinung, die manche Leute an der Landstraße gesehen haben wollen.«
    »Sieh mal an.« Der alte Mann lehnte sich zurück, legte die Hände in den Schoß und blickte seine Besucherin mit großen Augen an. »Wie ist denn dieses Gerücht bis zu Ihnen ins ferne Lüneburg gedrungen?«
    »Sie wissen also, worum es geht?«, hakte Lea sofort nach.
    Zirner nickte. »Diese Geschichte kennt jeder hier im Ort. Was interessiert Sie an diesem Märchen?«
    »Ist es denn ein Märchen?«, gab Lea mit der Schlagfertigkeit der geübten Interviewerin zurück.
    Zirner lachte ein wenig spöttisch. »Was denken Sie denn? Ein Geist, der an einer Landstraße spukt? Wenn Sie für eine seriöse Zeitung schreiben, sollten Sie sich gut überlegen, ob Sie daraus eine Story machen.«
    »Das hat mein Chefredakteur auch gesagt«, räumte Lea ein. »Eigentlich will ich auch nur sondieren, ob die Sache eine Story hergibt. Ich bin nicht einmal im Dienst, sondern habe zurzeit Urlaub. Und da ich schon immer mal das Wendland sehen wollte, dachte ich einfach, ich forsche bei dieser Gelegenheit ein wenig nach. Gut möglich, dass mein Chef recht hat. Vielleicht ist das Ganze eine Seifenblase, die beim geringsten Stich zerplatzt.«
    Ihre Offenheit schien auf den alten Mann entwaffnend zu wirken. Jedenfalls zeigte er erneut jenes Lächeln, das bei der Erwähnung der Geistergeschichte für einen Moment von seinem Gesicht gewichen war.
    »Glauben Sie mir: Es
ist
eine Seifenblase«, sagte er.»Aber wenn Sie es darauf anlegen, werden Sie im Dorf bestimmt ein Dutzend Leute finden, die das Mädchen an der Straße gesehen haben wollen. Auf jeden Fall sollten Sie mit Gerhard Winkelmann reden. Er wohnt unten an der Hauptstraße und ist gewissermaßen unser Lokalhistoriker. Und wenn Sie ganz hartgesotten sind, gehen Sie mal zu Hedwig Heller! Sie betreibt einen Kunstgewerbeladen am Dorfplatz, glaubt an Engel, Dämonen und alles, was sonst noch angeblich den Äther bevölkert. Soweit ich weiß, will sie das Gespenst schon mehrfach gesehen haben.«
    »Das werde ich bestimmt tun«, versprach Lea. »Haben Sie jemals etwas an der Landstraße gesehen, was die Gerüchte erklären könnte?«
    Zirner schmunzelte. »Rehe, Kaninchen, Wildschweine – aber nichts, das man mit einem halbwüchsigen Mädchen verwechseln könnte, wenn man seine Sinne noch beieinanderhat.«
    Lea stutzte. »Sagten Sie
halbwüchsig?
Wie kommen Sie darauf?«
    »Auch das ist allgemein bekannt, wie Sie rasch feststellen werden, wenn Sie sich im Dorf umhören«, winkte Zirner ab. »Dieses Gespenst soll der Geist eines jungen Mädchens sein, das vor Jahrzehnten an der Straße verschwunden ist.«
    »Tatsächlich?« Lea öffnete ihre Handtasche und zog ihr Notizbuch hervor. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich mir ein paar Dinge aufschreibe?«
    Der alte Mann machte eine wegwerfende Handbewegung, die ebenso sehr sein Einverständnis wie seine Geringschätzung ausdrücken mochte.
    »Also«, begann Lea und zückte ihren Lieblingskugelschreiber, den David ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. »Würden Sie mir erzählen, was Sie über die Hintergründe wissen?«
    »Es ist inzwischen   …«, Rudolf Zirner verzog

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