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Das weisse Meer

Das weisse Meer

Titel: Das weisse Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Sourlier
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zur Seite, rutschte mit dem Fuß ins Leere, konnte mich aber an der Eisenstange festhalten. Mit der anderen Hand packte ich die Katze am Nacken. Ich wusste zwar, dass Katzen besser auf nassen Balken balancieren können als Menschen, aber Ellas Katze war eine riesenhafte fette Angorakatze, die die Wohnung noch nie verlassen hatte. Ich hob die Katze hoch. Im selben Moment blickte die Frau mich an. Sie hatte ganz helle Augen. Sie blickte mir in die Augen, hielt den Blick einige Sekunden, verzog dann die Mundwinkel, fragend, spöttisch. Dann wandte sie sich wieder dem alten Mann zu. Ich lief mit der Katze im Arm über die rutschigen Bretter zurück zum Küchenfenster, ließ die Katze auf den Boden fallen und kletterte selber hinterher. Außer Atem stand ich in der Küche, wo Ella in einer Bratpfanne etwas Undefinierbares aus Nudeln und Tiefkühlspinat zusammenrührte.
    Leo traf ich im März vergangenen Jahres. Dich kenne ich, sagte sie, nicht zu mir, sondern zu Tanja. Sie trug ein blaues Männerunterhemd, hatte kurze schwarze Haare und eng zusammenstehende Augen. Ihre Oberarme waren schmal und sehnig, auf der einen Schulter hatte sie drei Striche, Brandmale oder Narben von Schnitten. Meine Freundin Tanja und ich standen am Tresen und tranken Gin Tonic. Wir waren nicht sicher, ob wir auf der falschen Party waren. Ein Bekannter von Tanja hätte auflegen sollen, der jedoch nicht zu sehen war, und auch sonst kein bekanntes Gesicht. Auf der Bühne strich eine Frau mit einem Geigenbogen über ein Stück Metall und entlockte diesem hohe, schwingende Töne. Dazu sang sie mit theatralischem Vibrato Wörter ins Mikrofon, die wenig Sinn ergaben. Dich kenne ich, sagte Leo zu Tanja. Du kommst aus derselben Stadt wie ich, du bist mit mir zur Schule gegangen. Sie spuckte die Worte hastig aus und tippte Tanja bei jedem Du, das sie aussprach, mit den Fingerspitzen auf die Schulter. Ja, sagte diese und wich etwas zurück, ich erinnere mich. Du bist Eleonora. Leo, korrigierte die andere. Ach, meinte Tanja belustigt, du heißt jetzt also Leo? Du warst früher mal blond, sagte Leo, es klang wie eine Antwort. Mit mir sprach sie nicht. Sie sah mich nur herausfordernd an, als wollte sie etwas von mir.
    Eleonora, erinnerst du dich nicht an die, meinte Tanja, als wir danach draußen vor dem Club auf der Treppe saßen. Die war komisch. Früher hatte sie noch lange Haare. Sie war in meiner Klasse. Du kanntest sie bestimmt kaum, sie war ziemlich unscheinbar. Eine Streberin, arrogant vielleicht oder auch bloß schüchtern. Eine Zeitlang hieß es, ich sei mit ihr befreundet, weil ich einige Male mit ihr gelernt hatte. Die anderen waren gemein zu ihr. Einmal war ich bei ihr zu Hause; sie sammelte tote Tiere, ihr Zimmer war voll davon. Tote Käfer und Nachtfalter, aufgespießte Schmetterlinge und die grauen Hüllen der ehemals verpuppten Falter, leere Wespennester, sogar den Schädel einer Katze besaß sie. Die war komisch, echt, meinte Tanja. Eleonora, kein Wunder, was für ein bescheuerter Name.
    Tanja war längst weg, als der Club schloss, sie wischten Leo und mich sozusagen mit den letzten Pappbechern und Zigarettenstummeln hinaus auf die Straße. Draußen war es schon Tag. Leo ging neben mir her, über den Kanal. Du musst hier lang, sagte ich an der nächsten Kreuzung. Es hätte wie eine Frage klingen sollen, klang aber wie eine Feststellung. Wir hatten herausgefunden, dass Leo bei einem Bekannten von mir in einer WG wohnte, ich kannte die Straße. Kann ich heute bei dir schlafen, fragte sie. Ja, klar, sagte ich. Meine Stimme klang heiser, ich hatte zu viel geraucht. An einem Kiosk kauften wir Croissants. Ich werde dich in Ruhe lassen, falls du das meinst, sagte Leo kurz vor meiner Haustür. Da, wo ich jetzt wohne, ist grad schlecht. Klar, sagte ich.
    Obwohl ich die Rollläden geschlossen hatte, schlief ich nicht. Leo lag quer in meinem Bett, ihre linke Hand nah an meinem Gesicht. Ihr Kopf war von mir abgewandt, so dass ich nicht sehen konnte, ob sie tatsächlich schlief. Ich hatte mich ganz an die Wand gedrückt und rührte mich nicht. Leos Hand roch nach Seife und Rauch. Es war bereits Nachmittag, als Leo sich mit einem Ruck erhob und sich eine Zigarette anzündete. Sie beachtete mich nicht, als wäre ich gar nicht im Raum. Ich schloss die Augen und beobachtete sie nur durch einen dünnen Spalt. Leo rauchte, suchte sich ihre Kleider zusammen, im Spiegel zog sie sich an. Ich blinzelte, als würde ich aufwachen, und sagte dann: Hey. Willst du einen

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