Das Weltgeheimnis (German Edition)
scheitern wie er.
Heute ahnen wir zumindest, warum. Im Zeitalter der Raumfahrt haben Forscher die komplexe Entstehungsgeschichte der Planeten ein Stück weit rekonstruieren können. Eine dauerhafte Ordnung und Harmonie, wie Kepler sie in seinem Weltgeheimnis aus einem geometrischen Schöpfungsplan heraus erklären wollte, hat sich als frommer Wunsch entpuppt. Die Planeten sind aus einem chaotischen Zusammenspiel von wachsenden und miteinander verschmelzenden Himmelskörpern hervorgegangen. Auch ihre jetzige Anordnung wird nicht ewig bestehen. »Das Sonnensystem ist nicht stabil«, sagt der Astrophysiker Günther Wuchterl. »Es ist nur alt.«
Kepler ist glücklicherweise nicht in der Sackgasse, die ihm mit dem Weltgeheimnis drohte, stecken geblieben. In Prag hat er sich einer neuen Aufgabe gestellt: die Bahn eines einzelnen Planeten zu berechnen. Die Lösung dieses äußerst schwierigen Problems hat ihm unter anderem die Bewunderung Albert Einsteins eingetragen.
»Er musste klar erkannt haben«, so Einstein, »dass ein noch so klares logisch-mathematisches Theoretisieren allein keine Wahrheit verbürgt, sondern dass die schönste logische Theorie in der Naturwissenschaft ohne Vergleich mit der exakten Erfahrung nichts bedeutet.« Ohne diese philosophische Einstellung wäre Kepler nie auf seine fundamentalen Planetengesetze gestoßen. »Wie viel Erfindungskraft und unermüdlich harte Arbeit nötig waren, um diese Gesetze herauszufinden und mit großer Präzision sicherzustellen, das vermögen wir heute kaum noch zu würdigen.«
Einsteins Erfolgsgeschichte
Als Theoretiker fühlte sich Einstein seinem Vordenker besonders verbunden. Einstein verfügte über eine ähnliche, manchmal als naiv beschriebene Genialität wie Kepler. Auch er war ein Meister darin, einfache physikalische Fragen zu formulieren und dann nicht mehr locker zu lassen, vertiefte sich über Jahre in eine mathematisch abstrakte Theorie, die den Aufbau des Universums von Grund auf neu erklären sollte.
Einstein verzweifelte an den Berechnungen für seine Allgemeine Relativitätstheorie, sein größtes Projekt drohte an der komplizierten Mathematik zu scheitern. »Hilf mir, Grossmann, sonst werd ich verrückt!«, schrieb er 1912 an einen Freund, der ihn dann tatsächlich auf eine wichtige Fährte brachte, um mit einer neuen Geometrie auch mit vierdimensionalen Räumen fertig zu werden.
Ähnlich wie Kepler stand Einstein vor kaum überwindbaren mathematischen Hürden. Beide hatten die richtigen Formeln bereits auf dem Papier stehen und ließen sie wieder fallen, beide hatten wohlmeinende Ratgeber, die sie von ihren Plänen abbringen wollten: Michael Mästlin und Max Planck gelang es jedoch nicht, sie von ihren gewagten Ideen abzuhalten. »Als alter Freund muss ich Ihnen davon abraten«, so Planck gegenüber Einstein, »weil Sie einerseits nicht durchkommen werden; und wenn Sie durchkommen, wird Ihnen niemand glauben.«
Wenn es schon heroisch und ziemlich hoffnungslos ist, einer Art Weltformel nachzujagen, ist es anscheinend noch heroischer und hoffnungsloser, die Fachkollegen davon überzeugen zu wollen, dass diese Formel richtig ist. Warum soll man eine neue mathematische Sprache wie die keplerschen Ellipsen oder Einsteins Tensoren in die Physik aufnehmen? Nur weil sich damit die Bewegungen der Himmelskörper in einer kompakteren Form darstellen lassen? Auch namhafte Physiker sehen darin keinen zwingenden Grund, »das gesamte physikalische Weltbild von Grund auf zu ändern«, wie es Einsteins Zeitgenosse Max von Laue einmal ausdrückte.
Kurioserweise wurde Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie dennoch innerhalb weniger Jahre von vielen Kollegen akzeptiert. Er hätte länger darum kämpfen müssen, wenn unter seinen Anhängern nicht ein so tüchtiger Experimentator gewesen wäre: Arthur Eddington.
1919, kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs, stellte Eddington zwei Forschungsexpeditionen auf die Beine, um eine Sonnenfinsternis zu beobachten. Die Wissenschaftler brachten von ihrer Reise das Ergebnis mit, dass Lichtstrahlen in der Nähe der Sonne den Einsteinschen Vorhersagen gemäß auf gekrümmten Bahnen laufen. Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie hatte ihre Feuerprobe bestanden. Kurz darauf sprach man in allen großen Zeitungen von einer »Revolution in den Wissenschaften«.
Dornröschenschlaf
Kepler wartet zeit seines Lebens vergeblich auf eine solche Anerkennung. Seine astronomische Pionierarbeit entfaltet ihre volle Wirkung erst
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