Das Weltgeheimnis (German Edition)
diesen Gebieten keine Kenntnis besaßen und deren Existenz allen, die davon hören, völlig neu ist«. Während Kolumbus glaubte, auf dem Westweg Indien erreicht zu haben, erzählte Vespucci von einer neuen Welt, die Erinnerungen an das sagenumwobene Atlantis wachrief: ein Kontinent, »der mit Völkern und Tieren dichter besiedelt ist als unser Europa oder Asien und Afrika«, ein Paradies auf Erden, wo es Bäume und Früchte im Überfluss gibt, die Menschen tagein, tagaus nackt herumlaufen und sich sinnlichen Freuden hingeben. Unverblümt schilderte er die Freizügigkeit der Bewohner, die Vorzüge der wollüstigen Frauen, ihre archaischen Riten und ihre vielfältigen Sexualpraktiken.
Bei seinem Medici-Boss machte all dies großen Eindruck. Der Reisebericht ging unter dem Titel Mundus Novus in Druck und verbreitete sich über die Kanäle der Medici, wenig später erschienen auch Vespuccis restliche Briefe in einem erfolgreichen Sammelband.
Vespuccis Reiseerzählungen waren eine Sensation auf dem Buchmarkt, sie wurden in kürzester Zeit zu Bestsellern. Prompt tauchte 1507 erstmals der Name »America« auf einer Weltkarte auf und multiplizierte sich im Zuge der vielen Neuzeichnungen von Karten und Globen rasch. So stieg Vespucci, der kluge Beobachter aus der zweiten Reihe, und nicht dessen Freund Kolumbus, der eigentliche Entdecker, zum Taufpaten des neuen Kontinents auf.
»Denn nie entscheidet die Tat allein, sondern erst ihre Erkenntnis und ihre Wirkung«, so Stefan Zweig über Vespuccis plötzlichen Ruhm. »Der sie erzählt und erklärt, kann der Nachwelt oft bedeutsamer sein als der sie geschaffen, und im unberechenbaren Kräftespiel der Geschichte vermag oft der kleinste Anstoß die ungeheuersten Wirkungen auszulösen.«
Mit beiden Seefahrern, Kolumbus und Vespucci, wird Galilei jetzt immer wieder verglichen. In Prag stellt ihn der Schotte Thomas Segeth auf eine Stufe mit Kolumbus, in Florenz singt Francesco Maria Gualterotti eine patriotische Hymne auf Vespucci und Galilei, die beiden seiner Ansicht nach größten Entdecker.
Das beginnende 17. Jahrhundert steht noch stark unter dem Eindruck der Entdeckung Amerikas. Galilei, Kepler und andere Intellektuelle lesen Berichte über Indios, über die Reisen spanischer und portugiesischer, britischer und niederländischer Seefahrer in die Karibik, nach Brasilien oder Kalifornien. Die in viele Sprachen übersetzten Werke bilden den Hintergrund, vor dem Galileis Vorstoß zu neuen Gestirnen betrachtet wird. Er bekommt dadurch sofort eine historische Dimension.
Galilei ist sich dieser Chance von Anfang an bewusst. »Und so, wie mich unendliches Staunen erfüllt, so unendlichen Dank weiß ich Gott gegenüber, weil Er mich allein zum ersten Beobachter bewundernswürdiger und den bisherigen Jahrhunderten verborgen gebliebener Dinge auserkoren hat«, hat er dem toskanischen Staatssekretär Belisario Vinta bereits vor der Veröffentlichung seiner Beobachtungen geschrieben und um strengste Geheimhaltung gebeten.
»Mich allein« – Galilei muss sich beeilen, um diese Worte wahr werden zu lassen. Das Fernrohr ist weder eine besonders komplexe Konstruktion, noch ist die Fertigung außergewöhnlich teuer. Er selbst hat nur ein paar Monate gebraucht, um den Gläsern den nötigen Schliff für ihren Einsatz in der Forschung zu geben. Um weitere Pionierleistungen zu vollbringen und die Welt auch in Zukunft mit neuen spektakulären Enthüllungen in Atem zu halten, nimmt er sich nun der Reihe nach die Planeten Mars und Saturn, Venus und Merkur, dann auch die Sonne vor, sammelt neue Beobachtungsdaten und drängt mit nüchternen, präzisen Einordnungen sämtliche Philosophen aus dem Rampenlicht.
Anders als Kolumbus lässt sich Galilei das Heft nicht mehr aus der Hand nehmen. Und anders als Vespucci kämpft er mit allen Mitteln darum, selbst dort nicht nur als Erklärer, sondern auch als der eigentliche Entdecker zu gelten, wo ihm andere zuvorkommen sind. Etwa bei der Beobachtung der Sonnenflecken.
Publicity für ein kostbares Rohr
Im Frühjahr 1610 konzentriert er sich ganz auf die für ihn vordringlichen Dinge. Er möchte seine lang gehegten Karrierewünsche realisieren und so viel wie möglich aus dem technischen Vorsprung, den er mit der Verbesserung des Fernrohrs gewonnen hat, herausholen. Nachdem er seinen Sternenboten dem Großherzog der Toskana gewidmet hat, treibt er die Bewerbung um eine Stelle als Hofphilosoph und Mathematiker der Medici mit Nachdruck voran.
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