Das Weltgeheimnis (German Edition)
die Galilei fertigstellen möchte, ist beträchtlich: zwei Bücher über Aufbau und Beschaffenheit des Universums, drei Bücher über die Ortsbewegung, die er als »vollkommen neue Wissenschaft« bezeichnet, sowie drei über die Mechanik, daneben Abhandlungen über Ton und Stimme, das Sehen und die Farben, über die Gezeiten des Meeres, das mathematische Kontinuum und natürlich auch über militärische Angelegenheiten, die Praxis des Festungsbaus, das Geschützwesen, Angriff und Belagerung, die Artillerie und vieles mehr.
»Was aber den Titel angeht, so erbitte ich mir, dass Seine Hoheit zu dem Titel ›Mathematiker‹ den des ›Philosophen‹ hinzufügen möge; denn ich kann mich darauf berufen, mehr Jahre mit dem Studium der Philosophie als Monate mit dem der Mathematik verbracht zu haben.«
Am toskanischen Hof bleibt man angesichts der zwiespältigen Reaktionen auf Galileis Entdeckungen noch eine Zeit lang zurückhaltend. Dem Wissenschaftshistoriker Mario Biagioli zufolge hat Cosimo jedoch letztlich kaum eine andere Wahl, als Galilei den heiß ersehnten Titel des Philosophen und ein stattliches Gehalt zu gewähren.
»Alle, die in Europa etwas zählten, wussten von Galileis Entdeckungen und ihrer Widmung.« Galilei hatte vielen von ihnen über die diplomatischen Kanäle der Medici Fernrohre und Exemplare des Sternenboten als Geschenke übersandt. »In gewissem Sinne hatte Galilei die Medici langsam in ein kontrolliertes Potlatch verwickelt«, meint Biagioli. »Als Cosimo Galileis Widmung der Mediceischen Gestirne erst einmal angenommen hatte, lagen die prüfenden Blicke all der Könige und Königinnen, Herzöge und Kardinäle, die Galilei mit Teleskopen versorgt hatte, auf ihm, und es wäre ihm schwergefallen, mit einem angemessenen Gegengeschenk aufzuwarten, mit dem er seine Großzügigkeit und seinen Edelmut hätte beweisen wollen.«
Im Frühsommer 1610 erhält Galilei die Nachricht, dass einem Umzug nach Florenz nichts mehr im Weg stehe. Der Posten am Hof der Medici ist nur ein vorläufiger Höhepunkt seiner Laufbahn. Binnen Jahresfrist macht er weitere spektakuläre Entdeckungen. Und im Jahr darauf gewährt sogar Papst Paul V. dem inzwischen weltberühmten Forscher eine Audienz. Der Professor aus Padua gibt die Richtung vor, in die sich die astronomische Beobachtungspraxis in nächster Zeit weiterentwickelt.
»LASST UNS ÜBER DIE DUMMHEIT DER MENGE LACHEN!«
Keplers leidenschaftliche Briefe mit fragwürdigem Echo
Der Mai geht vorüber, dann der Juni und der Juli. Kepler wartet noch immer auf eine Reaktion aus Padua. Er selbst hat alles stehen und liegen lassen, hat den Mut gehabt, ins Unreine zu sprechen, um Galileis aufsehenerregende Entdeckungen gebührend zu würdigen. Galilei schweigt.
»Ich habe ihn gelobt«, so Kepler, »ohne dem Urteil irgend jemandes vorgreifen zu wollen, und wenn ich hier auch eigene Lehrsätze zu verteidigen unternommen habe …, so verspreche ich doch, sie ohne Vorbehalt aufzugeben, sobald mir einer, der gescheiter ist als ich, einwandfrei einen Irrtum nachweist.«
Irrtümer weist man ihm zwar nicht nach. Trotzdem bekommt Kepler den geballten Widerstand der Fachkollegen zu spüren, denn für Galileis Behauptungen gibt es erst einmal keine Zeugen. Nach seinem enthusiastischen Brief fühlt sich Kepler in Prag von Woche zu Woche mehr und mehr in die Enge getrieben.
Pikanterweise erfahren wir dies in erster Linie aus Galileis Korrespondenz. Galilei ist bestens vernetzt. Die ganze Zeit über steht er mit Giuliano de’ Medici in Verbindung, dem toskanischen Botschafter in Prag. Mit Martin Hasdale hat er einen weiteren Informanten vor Ort, der ihm mitteilt, wie seine Entdeckungen in Prag aufgenommen werden.
Hasdale wirbt bei jeder sich bietenden Gelegenheit für Galileis »bewundernswerte und erstaunliche Schrift«. Er ist zugegen, als der spanische Botschafter Anfang April 1610 ein Exemplar des Sternenboten ausgehändigt bekommt, kurz darauf ergreift er bei einem Essen in der sächsischen Botschaft die Chance, Johannes Kepler auf die Neuigkeiten aus Padua anzusprechen.
Europäische Aufrüstung und wissenschaftlicher Kleinkrieg
Im Frühjahr 1610 ist die Atmosphäre am kaiserlichen Hof gereizt. Seit Anfang Mai tagen in Prag die katholischen Kurfürsten und Erzherzoge mit großem Gefolge. Der Kaiser hofft immer noch, seine Macht im Reich und in Böhmen zurückzugewinnen. Er möchte sich an seinem Bruder rächen und sieht nicht, welcher Zündstoff in dem aktuellen
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