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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Anmut, die tremulierende kleine Musik der gepuderten alten Urahne … Mozart80, das ist der geniale Vorläufer, der erste, der dem Orchester eine persönliche Stimme verlieh … Und die beiden haben vor allem deshalb Bestand, weil sie Beethoven81 gemacht haben … Ah! Beethoven, die Gewalt, die Kraft im erhabenen Schmerz. Michelangelo82 am Medicäergrab83! Ein heldischer Logiker, ein Hirnformer, denn sie, die Großen von heute, sind alle von der Neunten Sinfonie ausgegangen!«
    Des Wartens müde, fing der Kellner an, die Gaslampen mit träger Hand auszulöschen, und schlurfte umher. Schwermut zog in dem öden Gastzimmer ein, das verdreckt war von Auswurf und Zigarrenstummeln und den Dunst seiner mit Bierlachen beschmierten Tische aushauchte, während von dem eingeschlafenen Boulevard nur noch das verlorene Schluchzen eines Betrunkenen herübertönte.
    Gagnière war weit weg und eilte dem Ritt seiner Träume nach:
    »Weber84 wandelt durch eine romantische Landschaft und führt inmitten von Trauerweiden und von Eichen, die ihre Äste verdrehen, den Totentanz an … Schubert85 folgt ihm unter dem bleichen Mond an Silberseen … Und da ist Rossini86, die Begabung in Person, so heiter, so natürlich, unbekümmert um den Ausdruck, macht sich lustig über die Leute, der ist nicht mein Mann, ach, nein, gewiß nicht, aber er ist trotzdem so erstaunlich infolge der Überfülle seiner Einfälle, infolge der ungeheuren Wirkungen, die er durch das Zusammenballen der Stimmen und durch die schwülstige Wiederholung desselben Themas erreicht … Diese drei da mündeten in Meyerbeer87, einen Schlauberger, der aus allem Nutzen gezogen hat, indem er nach Weber die Sinfonie in die Oper einführte und der unbewußten Formel Rossinis den dramatischen Ausdruck verlieh. Oh, prächtiges Brausen, der feudale Prunk, der militärische Mystizismus, der Schauer der phantastischen Legenden, ein Leidenschaftsschrei, der die Geschichte durchzieht! Und glückliche Funde, der Persönlichkeitswert der Instrumente, das dramatische Rezitativ, das sinfonisch vom Orchester begleitet wird, der typische Tonsatz, auf den das ganze Werk aufgebaut ist … Ein großer Kerl! Ein sehr großer Kerl!«
    »Mein Herr«, meldete sich der Kellner, »wir schließen jetzt.« Und da Gagnière nicht einmal den Kopf wandte, ging er den kleinen Rentier wecken, der immer noch schlafend vor seinem Schälchen saß. »Wir schließen jetzt, mein Herr.«
    Zitternd erhob sich der verspätete Gast, tastete in der finsteren Ecke, in der er sich befand, nach seinem Spazierstock; und er ging hinaus, als der Kellner den Spazierstock unter den Stühlen aufgelesen hatte.
    »Berlioz88 hat Literatur in seine Sache hineingebracht. Das ist der musikalische Illustrator Shakespeares89, Virgils90 und Goethes. Aber was für ein Maler! Der Delacroix der Musik, der die Töne in den funkelnden Gegenüberstellungen von Farben zum Flammen gebracht hat. Dabei hat er mit seinem romantischen Klaps eine Religiosität, die ihn mitreißt, alles Maß übersteigende Verzückungen. Schlechter Opernkonstrukteur, wunderbar in der einzelnen Nummer, verlangt mitunter zuviel vom Orchester, das er foltert, weil er die Persönlichkeit der Instrumente, von denen jedes für ihn eine Person darstellt, zum Äußersten getrieben hat. Ach, was hat er doch von den Klarinetten gesagt: ›Die Klarinetten sind geliebte Frauen.‹ Ach, das läßt mir immer einen Schauer über die Haut laufen … Und Chopin91, der so dandyhaft ist in seinem Weltschmerz, der aus Neurosen auffliegende Dichter! Und Mendelssohn92, dieser untadelige Ziselör, Shakespeare in Ballschuhen, dessen Lieder ohne Worte Juwelen für die verständnisvollen Damen sind! – Und dann, und dann muß man in die Knie sinken …«
    Es brannte nur noch eine Gaslampe über seinem Haupt, und der Kellner wartete hinter seinem Rücken in der schwarzen, eisigen Leere des Gastzimmers. Gagnières Stimme hatte ein frommes Beben angenommen, und er verrichtete wieder seine Andacht am fernen Tabernakel93, am Allerheiligsten:
    »Oh, Schumann, die Verzweiflung, der Sinnengenuß der Verzweiflung! Ja, das Ende von allem, der letzte Sang einer traurigen Reinheit, die über den Ruinen der Welt schwebt! – Oh, Wagner, der Gott, in dem sich Jahrhunderte der Musik verkörpern! Sein Werk! Das ist der riesige Bogen, alle Künste in einer einzigen, die wahre Menschlichkeit der Gestalten ist schließlich zum Ausdruck gebracht, das Orchester lebt für sich das Leben des Dramas; und was für

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