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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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später verschieben, er beschloß, zunächst mittelgroße Gemälde in Angriff zu nehmen, wobei er sich sagte, daß das Ausmaß der Werke nicht das Genie ausmache.
    Der Zeitpunkt erschien ihm so günstig für den Erfolg eines beherzten Künstlers, der endlich eine ursprüngliche und freimütige Note mitbrachte, während die alten Schulen zusammenbrachen! Schon waren die Formeln von gestern erschüttert. Delacroix war ohne Schüler gestorben, Courbet hatte kaum ein paar ungeschickte Nachahmer hinter sich; ihre Meisterwerke würden bald nur noch vom Alter geschwärzte Museumsstücke sein, einfache Zeugnisse der Kunst einer Epoche; und es erschien leicht, die neue Formel vorauszusehen, die sich aus ihnen entwickeln würde, dieser Andrang der prallen Sonne, dieses durchsichtige Morgendämmern, das in den neueren Bildern unter dem beginnenden Einfluß der Freilichtschule heraufzog. Es war unleugbar: diese blonden Werke, über die man im Salon der Abgelehnten so sehr gelacht hatte, setzten insgeheim vielen Malern zu, erleuchteten nach und nach alle Paletten. Noch gab das niemand zu, aber der Anstoß war gegeben, eine Entwicklung brach an, die bei jedem Salon immer mehr fühlbar wurde. Und was für ein Schlag, wenn sich inmitten der unbewußten Kopien der Unfähigen, dieser ängstlichen und heimtückischen Versuche der Geschickten ein Meister offenbarte, der mit der Kühnheit der Kraft die Formel schonungslos verwirklichte, so daß sie handfest und ungeschmälert hingesetzt werden mußte, damit sie die Wahrheit dieses zu Ende gehenden Jahrhunderts verkörpere.
    In dieser ersten Stunde der Leidenschaft und der Hoffnung glaubte Claude, der sonst so vom Zweifel zermürbt war, an sein Genie. Er hatte nicht mehr diese Anfälle, bei denen ihn die Angst tagelang durch die Straßen jagte, auf der Suche nach seinem entschwundenen Mut. Eine fiebernde Erregung straffte ihn, versetzte ihn in die blinde Hartnäckigkeit des Künstlers, der sich den Schoß öffnet, um aus ihm die Frucht herauszuziehen, von der er gequält wird. Seine lange Ruhe auf dem Lande hatte ihm eine eigenartige Frische der Auffassung, eine entzückte Freude bei der Ausführung gegeben; ihm war, als würde er in einer Schwerelosigkeit und einer Ausgeglichenheit, die er niemals gehabt hatte, für seinen Beruf wiedergeboren, und dazu kam auch eine Gewißheit des Fortschritts, eine tiefe Zufriedenheit angesichts der gelungenen Stücke. Wie er einst in Bennecourt zu sagen pflegte, hatte er nun sein freies Licht, diese Malerei voll der Heiterkeit aller singenden Töne, die die Kumpels in Erstaunen versetzte, wenn sie ihn besuchen kamen. Alle brachten ihre Bewunderung zum Ausdruck, weil sie überzeugt waren, daß er nur draufloszuschaffen brauchte, um seinen Platz ganz oben einzunehmen, mit Werken von einer so persönlichen Auffassung, in denen die Natur zum ersten Mal im wahren Licht badete beim Spiel der Reflexe und dem ständigen Zerfließen der Farben.
    Und drei Jahre hindurch rang Claude, ohne zu ermatten, aufgepeitscht durch die Fehlschläge, gab nichts von seinen Ideen auf und schritt geradeaus mit der Strenge des Glaubens.
    Zunächst ging er im ersten Jahr während der Schneefälle im Dezember fort, um sich jeden Tag vier Stunden lang hinter dem MontmarteHügel an der Ecke eines unbebauten Geländes hinzustellen, wo er einen Hintergrund von Not und Elend mit niedrigen baufälligen Hütten, die von Fabrikschloten überragt wurden, malte; und im Vordergrund hatte er ein Mädelchen und einen zerlumpten Lümmel, die gestohlene Äpfel verschlangen, in den Schnee gesetzt. Da er darauf versessen war, nach der Natur zu malen, gestaltete sich seine Arbeit furchtbar umständlich, lud er sich fast unüberwindliche Schwierigkeiten auf. Immerhin vollendete er dieses Gemälde draußen, er gestattete sich im Atelier nur ein Nachbessern. Als das Werk unter die tote Helligkeit des Glasdaches gelegt wurde, setzte es ihn selber durch seine Brutalität in Erstaunen: das war gleichsam ein zur Straße offenstehendes Tor, der Schnee blendete, die beiden schmutziggrauen Gestalten hoben sich jammervoll davon ab. Sofort fühlte er, daß ein solches Gemälde nicht angenommen werden würde; aber er versuchte nicht, es abzumildern, er reichte es trotzdem beim Salon ein. Nachdem er geschworen hatte, daß er niemals mehr den Versuch unternehmen werde, etwas auszustellen, erhob er es nun zum Grundsatz, daß man der Jury immer etwas vorlegen müsse, einzig und allein schon, um sie ins Unrecht zu

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