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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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ein Niedermetzeln des Herkömmlichen, der albernen Formeln! Was für revolutionäres Befreien im Unendlichen! – Die TannhäuserOuvertüre, ach, das erhabene Halleluja des neuen Jahrhunderts: da ist zunächst der Pilgerchor, das religiöse Motiv, ruhig, tief, mit langsamem Pulsieren, dann die Stimmen der Sirenen, die ihn nach und nach ersticken; der Venus Sinnenlust voller entnervender Wonnen, voller einlullendem Schmachten, das immer lauter und gebieterischer, verworrener wird; und bald das heilige Thema, das stufenweise wiederkehrt wie ein Atmen des Raumes, das sich aller Gesänge und aller Tiefen in einer erhabenen Harmonie bemächtigt, um sie auf den Schwingen einer triumphalen Hymne mit sich zu nehmen.«
    »Wir schließen jetzt, mein Herr«, wiederholte der Kellner.
    Claude, der nicht mehr zuhörte, weil auch er in seine Leidenschaft versunken war, trank seinen Schoppen aus und sagte sehr laut:
    »He, Alter, es wird geschlossen!«
    Da fuhr Gagnière zusammen. Sein verzücktes Gesicht verzog sich schmerzhaft, und er fröstelte, als käme er wieder von einem Gestirn hernieder. Gierig trank er sein Bier; nachdem er dann auf dem Bürgersteig seinem Gefährten schweigend die Hand gedrückt hatte, entfernte er sich, verschwand im Dunkeln.
    Es war fast zwei Uhr, als Claude in die Rue de Douai heimkehrte. Seit einer Woche durchstreifte er von neuem Paris und brachte so jeden Abend die Fieberschauer des Tages mit hierher. Aber noch niemals war er so spät zurückgekommen, mit so heißem und so rauchendem Kopf.
    Von Müdigkeit übermannt, schlief Christine unter der erloschenen Lampe, und ihre Stirn war auf die Tischkante gesunken.
     

Kapitel VIII
    Schließlich fuhr Christine ein letztes Mal mit dem Flederwisch kurz über die Möbel, und sie waren eingerichtet. Zu diesem Atelier in der Rue de Douai, das klein und unbequem war, gehörten lediglich eine enge Stube und eine Küche, die kaum größer war als ein Schrank: sie mußten im Atelier essen, hier lebten sie, und das Kind war immerzu im Wege. Und sie hatte viel Mühe, mit ihren paar Möbeln auszukommen, denn sie wollte neue Ausgaben vermeiden. Allerdings mußte sie ein altes Bett kaufen, sie gab sogar dem Luxusbedürfnis nach, sich weiße Musselinvorhänge zu sieben Sous das Meter anzuschaffen. Fortan fand sie dieses Loch reizend, sie machte sich daran, es in bürgerlicher Sauberkeit zu halten, da sie beschlossen hatte, alles allein zu machen und ohne Bedienung auszukommen, um ihren Lebensunterhalt, der schon ohnehin schwierig genug werden würde, nicht noch mehr zu belasten.
    Claude lebte während dieser ersten Monate in wachsender Erregung. Das Laufen durch die lärmerfüllten Straßen, die Besuche bei den Kumpels, die bei ihren Diskussionen in Fieber gerieten, alle Zornesaufwallungen, alle heißen Ideen, die er so von draußen nach Hause mitbrachte, bewirkten, daß er sich mit lauter Stimme in Leidenschaft redete, sogar noch im Schlaf. Paris hatte ihn bis ins Mark wieder gepackt, voller Ungestüm; und mitten im Aufflammen dieses Glutofens kam eine zweite Jugend über ihn, eine Begeisterung und ein Ehrgeiz, alles sehen, alles tun, alles erobern zu wollen. Niemals hatte er eine solche Arbeitswut, eine solche Hoffnung empfunden, als hätte er nur die Hand auszustrecken brauchen, um Meisterwerke zu schaffen, die ihn in die erste Reihe rücken würden. Wenn er durch Paris ging, entdeckte er überall Gemälde, die ganze Stadt mit ihren Straßen, ihren Kreuzungen, ihren Brücken, ihren lebendigen Horizonten entrollte sich in riesigen Fresken, die er immer noch für zu klein hielt, weil er sich an riesenhaften Werken berauschte. Und bebend kehrte er nach Hause zurück, den brodelnden Schädel voller Pläne, und abends warf er bei der Lampe Skizzen auf Papierfetzen, ohne sich entscheiden zu können, womit er die Reihe der großen Gemälde, von der er träumte, beginnen sollte.
    Ernstlich wurde er dadurch behindert, daß sein Atelier so klein war. Wenn er nur den alten Dachboden vom Quai de Bourbon gehabt hätte oder auch das geräumige Speisezimmer in Bennecourt! Aber was sollte er tun in diesem länglichen Raum, einem Gang, den der Besitzer für vierhundert Francs an Maler zu vermieten die Frechheit besaß, nachdem er ihn mit einem Glasdach versehen hatte? Und das schlimmste war, daß dieses nach Norden gelegene, zwischen zwei hohe Mauern eingezwängte Glasdach nur ein grünliches Kellerlicht hereinfallen ließ. Er mußte also seine großen ehrgeizigen Pläne auf

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