Das Werk - 14
sehr wohl, daß diese Malerei ihr ihren Geliebten mit jedem Tag mehr nahm; und sie kämpfte noch nicht dagegen an, sie gab nach, ließ sich mitreißen mit ihm, um mit ihm eins zu sein auf dem Grunde desselben Bemühens. Aber eine Traurigkeit stieg auf aus diesem beginnenden Entsagen, eine Furcht vor dem, was sie dort erwartete. Mitunter schreckte sie erschaudernd zurück und erstarrte zu Eis bis ins Herz. Sie fühlte, daß sie alterte, während ein ungeheures Mitleid sie aufwühlte, ein Verlangen, ohne jeden Grund zu weinen, dem sie stundenlang nachgab, wenn sie in dem unheimlichen Atelier allein war.
Zu dieser Zeit tat sich ihr Herz weiter auf, und aus der Liebenden ging eine Mutter hervor. Diese Mütterlichkeit gegenüber ihrem großen Kind, dem Künstler, hatte ihren Grund in dem unbestimmten, unendlichen Mitleid, das sie zärtlich stimmte, in der vernunftwidrigen Schwäche, in die sie ihn allstündlich versinken sah, in unausgesetztem Verzeihen, das sie gezwungen war, ihm zu gewähren. Er begann sie unglücklich zu machen, ihr wurden von ihm nur noch jene gewohnheitsmäßigen Zärtlichkeiten zuteil, die die Männer den Frauen, von denen sie sich lösen, wie ein Almosen schenken. Und wie ihn noch lieben, wenn er sich ihren Armen entwand, wenn er eine gelangweilte Miene aufsetzte bei den glühenden Umarmungen, mit denen sie ihn immer noch erstickte? Wie ihn lieben, wenn nicht mit jener anderen Zuneigung, die zu jeder Minute in Anbetung vor ihm verweilte und sich grenzenlos aufopferte? Tief in ihr grollte die unersättliche Liebe, sie blieb der Schoß voller Leidenschaft, sie blieb das sinnliche Weib mit den üppigen Lippen über dem starrsinnig vorspringenden Kinn. Nach den geheimen Kümmernissen der Nacht lag eine traurige Süße darin, nur noch Mutter zu sein bis zum Abend, einen letzten blassen Sinnengenuß auszukosten in der Güte, im Glück, das sie ihm inmitten ihres nun verpfuschten Lebens zu bereiten trachtete.
Der kleine Jacques aber hatte zu leiden unter dieser Verlagerung ihrer Zärtlichkeit. Sie vernachlässigte ihn noch mehr, da das Fleisch stumm geblieben war ihm gegenüber, da es zur Mutterschaft nur durch die Liebe erwacht war. Der angebetete, begehrte Mann, der wurde ihr Kind; und das andere Kind, das arme Wesen, blieb ein schlichtes Zeugnis ihrer großen Leidenschaft von einst. Als es heranwuchs und immer weniger Fürsorge erforderte, hatte sie angefangen, es zu opfern, ohne Härte im Grunde, sondern lediglich, weil sie so empfand. Bei Tisch gab sie ihm nur die minderwertigen Stücke; der beste Platz neben dem Ofen war nicht für sein Stühlchen da; wenn sie in der Angst vor einem Unfall hochschreckte, galt ihr erster Aufschrei, ihre erste schützende Gebärde niemals seiner Schwäche. Und unaufhörlich wies sie ihn zurecht, unterdrückte sie ihn: »Jacques, schweig doch, du ermüdest deinen Vater! Jacques, verhalte dich still, du stehst doch, daß dein Vater arbeitet!«
Jacques gewöhnte sich schlecht ein in Paris. Er, der die weite Flur gehabt hatte, um sich darin in Freiheit zu tollen, erstickte in dem engen Raum, in dem er sich artig verhalten mußte. Seine schöne rote Farbe verblaßte, er entwickelte sich nur noch kümmerlich, war ernst wie ein kleiner Mann, starrte mit weit aufgerissenen Augen die Dinge an. Er war gerade erst fünf Jahre alt, seltsamerweise war sein Kopf ungemein dick geworden, was seinen Vater zu der Bemerkung veranlaßte: »Das Kerlchen hat den Nischel eines großen Mannes!« Aber es schien im Gegenteil, als nehme der Verstand ab, je mehr der Schädel wuchs. Das Kind war sehr sanft und furchtsam, saß stundenlang in Gedanken versunken da, wußte keine Antwort, war geistig abwesend; und wenn es aus dieser Reglosigkeit heraustrat, dann mit irrem Gespringe und Geschrei, wie ein fröhliches junges Tier, das vom Instinkt fortgerissen wird. Da hagelte es nur so »Verhalt dich ruhig!«, denn die Mutter konnte dieses plötzliche Toben nicht begreifen, war bestürzt, wenn sie sah, wie sich der Vater an seiner Staffelei ärgerte, sie wurde selber böse und eilte herbei, um den Kleinen in seine Ecke zu setzen. Auf einmal beruhigt, schlief er, mit dem ängstlichen Erschauern eines zu jähen Erwachens, mit offenen Augen wieder ein, war so lebensträge, daß ihm das Spielzeug – Korken, Bilder, alte Farbtuben – aus den Händen fiel. Sie hatte bereits versucht, ihm ein paar Buchstaben beizubringen. Er hatte sich unter Tränen dagegen gesträubt, und man wollte noch ein bis zwei
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