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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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geschliffenen, in lauteres Gold gefaßten Kleinods. Er wollte sie bei Sonnenaufgang sehen, wie sie sich aus den Morgennebeln herauslöst, wenn der Quai de l’Horloge rot erglüht, der Quai des Orfèvres von Finsternissen beschwert bleibt und im rosigen Himmel bereits über und über bebt beim strahlenden Erwachen ihrer Türme und ihrer Dachreiter und dann wie ein Mantel herabgleitet. Er wollte sie mittags sehen, unter der prallen Sonne, verzehrt von greller Helligkeit, entfärbt und stumm wie eine tote Stadt, in der nur noch das Leben der Hitze herrscht, das Zittern, in dem sich die fernen Dächer bewegen. Er wollte sie sehen in der sinkenden Sonne, wie sie sich wieder nehmen ließ von der nach und nach vom Fluß heraufgestiegenen Nacht, und dabei noch an den Graten der Baudenkmäler die Glutfransen eines Stückes Kohle, das nahe am Erlöschen ist, mit den letzten Feuersbrünsten, die in Fenstern wieder entbrannten, mit dem jähen Aufflammen von Scheiben, das Flammenfunken schleuderte und die Häuserfronten durchlöcherte. Aber angesichts dieser zwanzig verschiedenen Cités kam er, welche Tageszeit und welches Wetter es auch sein mochte, immer wieder zu der Cité zurück, die er das erste Mal gesehen hatte, gegen vier Uhr an einem schönen Septemberabend, zu dieser erhabenheiteren Cité unter dem leichten Wind, zu diesem Herzen von Paris, das in der durchsichtigen Luft schlug, gleichsam weiter geworden durch den unermeßlichen Himmel, über den ein Schwarm Wölkchen zog.
    Dort im Schatten der Pont des SaintsPères verbrachte Claude seine Tage. Dort stellte er sich unter, hatte sich dort seine Bleibe, sein Obdach geschaffen. Das unausgesetzte Rumpeln der Wagen, das einem fernen Donnergrollen glich, war ihm nicht mehr lästig. Er hatte sich am ersten Widerlager unterhalb der riesigen gußeisernen Bogengerüste niedergelassen und machte Bleistiftskizzen und Ölstudien. Niemals glaubte er sie gründlich genug studiert zu haben, er zeichnete ein und dieselbe Einzelheit zehnmal. Die Schiffahrtsangestellten, deren Büros dort lagen, kannten ihn mittlerweile; und die Frau eines Aufsehers, die mit ihrem Mann, ihren beiden Kindern und einer Katze so etwas wie eine geteerte Kabine bewohnte, hielt ihm sogar seine Leinwand frisch, damit er sich nicht erst die Mühe zu machen brauchte, sie jeden Tag durch die Straßen spazierenzutragen. Das war eine Freude für ihn, diese Zuflucht unter diesem Paris, das droben in der Luft grollte, dessen glühendes Leben er über seinem Haupt hinwegfließen fühlte. Zuerst versetzte ihn der Hafen SaintNicolas mit dem ständigen Treiben eines fernen Meereshafens mitten im Viertel um das Institut de France in Begeisterung: der Dampfkran, die »Sophie«, war in Tätigkeit, hievte Steinblöcke, zweirädrige Kippwagen kamen, um Sand zu laden; Tiere und Menschen zogen, gerieten außer Atem auf dem großen abschüssigen Pflaster, das bis zum Wasser hinabreichte, an dieses granitene Ufer, an dem eine Doppelreihe von Zillen, und Lastkähnen vertäut lag; und wochenlang hatte er eifrig an einer Studie gearbeitet: Arbeiter, die ein Schiff voller Gips entluden, die weiße Säcke auf der Schulter trugen, hinter sich einen weißen Weg zurückließen und selber weiß bepudert waren, während dort in der Nähe ein anderes Schiff, das eben seine Kohlenladung losgeworden war, die Böschung mit einem breiten Tintenfleck besudelt hatte. Dann hielt er die Seitenansicht der Flußbadeanstalt am linken Ufer fest sowie ein Waschschiff auf der anderen Ebene, auf dem die Fenster offenstanden, und die Wäscherinnen, die nebeneinander in einer Reihe auf gleicher Höhe mit dem Strom knieten und ihre Wäsche klopften. In der Mitte beobachtete er eingehend ein Boot, das von einem Flußschiffer hierher gewrickt worden war, dann mehr im Hintergrund einen Schlepper, einen Schleppdampfer, der an seiner Kette treidelte und einen Zug mit Tonnen und Brettern stromauf zog. Die Hintergründe hatte er zwar schon seit langem, er begann jedoch einzelne Stücke immer wieder von vorn: die beiden Ausblicke auf die Seine, einen großen, ganz freien Himmel, in den nur die Dachreiter und die von Sonne vergoldeten Türme hineinragten. Und unter der gastlichen Brücke, in diesem wie eine ferne Felsenhöhle entlegenen Winkel, störte ihn selten ein Neugieriger, die Angler gingen mit ihrer gleichgültigen Geringschätzung vorbei, Gesellschaft leistete ihm fast nur die Katze des Aufsehers, die sich bei dem Getöse der Welt da oben friedlich in der

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