Das Werk - 14
seine Jacke aus. Er hatte die Gewohnheit, in Hemdsärmeln zu sein, und fühlte sich nun wie zu Hause. Da er ja geschworen hatte, nie wieder heimzugehen, konnte er ebensogut hier schlafen wie unter einer Brücke. Sein Abenteuer verwunderte ihn nicht einmal, so sehr war sein Leben aus den Fugen geraten. Und da sie dieses rohe Sichgehenlassen nicht begreifen konnte, fand sie ihn zum Sterben komisch, ergötzte sich wie ein ausgelassenes Mädchen, hatte sich selber halb ausgezogen, kniff ihn, biß ihn, ließ ihre Hände spielen wie ein richtiger kleiner Straßenbengel.
»Du weißt, mein auf die Trottel eingestellter Kopf, mein Tiziankopf, wie sie sagen, ist nichts für dich … Ach, du krempelst mich um, wahrhaftig, du bist ganz anders!« Und sie packte ihn, sie sagte, wie scharf sie auf ihn sei, weil er so ungekämmt war. Lautes Lachen würgte die Worte in ihrer Kehle ab. Er kam ihr so häßlich, so drollig vor, daß sie ihn voller Raserei überallhin küßte.
Gegen drei Uhr morgens streckte sich Irma nackt inmitten der losgerissenen zerknitterten Bettücher aus, den Schoß geschwellt von ihrer Ausschweifung, und sagte stammelnd vor Müdigkeit:
»Und deine Flamme, du hast sie doch geheiratet?«
Claude, der im Einschlafen war, machte verstört die Augen wieder auf.
»Ja.«
»Und du schläfst immer noch mit ihr?«
»Ja, natürlich.«
Sie fing wieder an zu lachen und fügte lediglich hinzu:
»Ach, mein armes Dickerchen, mein armes Dickerchen, das muß doch stinklangweilig für euch beide sein!«
Als Irma, ganz rosig wie nach einer Nacht tiefen Ausruhens, adrett in ihrem Morgenrock, bereits frisiert und beruhigt, am nächsten Morgen Claude fortließ, behielt sie eine Weile seine Hände in den ihren; und sehr zärtlich schaute sie ihn mit gerührter und zugleich spöttischer Miene an.
»Mein armes Dickerchen, das hat dir keine Freude gemacht. Nein! Schwöre nicht, wir spüren das, wir Frauen … Aber mir, mir hat das viel Freude gemacht, oh, viel Freude … Hab Dank, vielen Dank.«
Und für sie war das vorbei, er hätte sie sehr teuer bezahlen müssen, damit sie noch einmal anfing.
Ganz durcheinander von diesem Abenteuer, ging Claude geradewegs nach Hause in die Rue Tourlaque. Er empfand dabei eine eigenartige Mischung von Eitelkeit und Gewissensbissen, die ihn zwei Tage lang gleichgültig für die Malerei machte, während er darüber nachgrübelte, daß er vielleicht doch sein Leben verfehlt hatte. Übrigens war er so seltsam bei seiner Rückkehr, so übervoll von dieser Nacht, daß er, da Christine ihn gefragt hatte, zunächst stammelte und dann alles eingestand. Es kam zu einem Auftritt, sie weinte lange, verzieh wiederum in ihrer unendlichen Nachsicht für seine Fehler und war besorgt, als fürchte sie, eine solche Nacht könnte ihn zu sehr erschöpft haben. Und aus der Tiefe ihres Kummers stieg eine unbewußte Freude auf, der Stolz, daß man ihn hatte lieben können, die Aufmunterung ihrer Leidenschaft, weil sie ihn zu einem Seitensprung fähig gesehen, die Hoffnung auch, daß er zu ihr zurückkommen würde, da er ja zu einer anderen gegangen war. Sie erschauerte in dem Geruch dieser Begierde, den er mitbrachte, sie hegte im Herzen immer nur eine Eifersucht, die Eifersucht auf diese Malerei, die sie so sehr verabscheute, daß sie ihn lieber einer anderen Frau in die Arme geworfen hätte.
Aber um die Mitte des Winters schöpfte Claude neuen Mut. Eines Tages fand er beim Aufräumen der Gitterrahmen ein dahintergefallenes altes Stück Leinwand wieder. Das war die nackte Gestalt aus »Im Freien«, die er als einzige aufgehoben und aus dem Bild herausgeschnitten hatte, als dieses vom Salon der Abgelehnten zu ihm zurückgekommen war. Und als er dieses Stück Leinwand auseinanderrollte, stieß er einen Schrei der Bewunderung aus.
»Himmelsakrament, ist das schön!«
Sofort befestigte er die Leinwand mit vier Nägeln an der Wand; und von da an verbrachte er Stunden mit dem Betrachten. Seine Hände zitterten, eine Woge Blut stieg ihm ins Gesicht. War es denn möglich, daß er ein solches Meisterstück gemalt hatte? Er hatte also zu jener Zeit doch Genie gehabt? Man hatte ihm also einen anderen Schädel verpaßt, und andere Augen, und andere Finger? Ein solches Fieber setzte ihn in Verzückung, ein solches Bedürfnis, aus sich herauszugehen, daß er schließlich seine Frau rief.
»Komm doch und sieh dir das an! – Na? Haut die hin? Hat die nicht fein angesetzte Muskeln? – Dieser Schenkel da, richtig von Sonne
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