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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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geführtes, schlecht gepflegtes Leben glitt in den Dreck der Armen, die sogar die Achtung vor sich selber verlieren.
    Nach einem weiteren Jahr hatte Claude an einem jener Tage, da er wieder eine Niederlage erlitten, da er sein mißlungenes Bild floh, eine Begegnung. Dieses Mal hatte er sich geschworen, nie wieder nach Hause zu gehen; er rannte seit Mittag durch Paris, als höre er etwas hinter sich hergaloppieren, als sei ihm das fahle Gespenst der großen nackten Frau, die durch die ständigen Retouchen verschandelt und immer ungestalt gelassen worden war, dicht auf den Fersen und verfolgte ihn mit seinem schmerzlichen Verlangen, geboren zu werden. Nebel zerfloß in feinen gelben Regen und verdreckte die schlammigen Straßen. Und gegen fünf Uhr überquerte er mit seinem Schlafwandlerschritt in zerfetzter Kleidung und schmutzbespritzt bis ins Kreuz, auf die Gefahr hin, überfahren zu werden, die Rue Royale, als jäh ein Coupé98 hielt.
    »Claude, he, Claude! – Sie erkennen also Ihre Freunde nicht mehr?«
    Das war Irma Bécot, wundervoll gekleidet in eine graue Seidenrobe, über und über mit Chantillyspitze bedeckt. Sie hatte mit rascher Hand die Scheibe heruntergelassen; sie lächelte, sie strahlte im Rahmen des Wagenverschlages.
    »Wohin gehen Sie denn?«
    Er war starr vor Staunen und antwortete, er gehe nirgendwohin.
    Sie ließ ihrer Heiterkeit freien Lauf, schaute ihn mit ihren lasterhaften Augen an und zog dabei ihre verderbten Lippen hoch, wie eine Dame, die das jähe Verlangen nach etwas Rohem quälte.
    »Steigen Sie doch ein, wir haben uns ja so lange nicht mehr gesehen! – Steigen Sie doch ein, Sie werden gleich überfahren!«
    Und tatsächlich wurden die Kutscher ungeduldig, trieben ihre Pferde unter lautem Lärm an; und noch ganz benommen, stieg er ein; und sie nahm ihn, pitschnaß wie er war, trotz seines scheuen Sichsperrens, das armen Leuten eigen ist, mit in dem mit blauer Seide ausgeschlagenen kleinen Coupé, wo er halb auf den Spitzen ihres Rockes saß, während die Droschkenkutscher über diese Entführung ulkten und die Wagen hinter ihnen einreihten, um den Verkehr nicht zu behindern.
    Irma hatte endlich ihren Traum von einem eigenen vornehmen Haus an der Avenue de Villiers verwirklicht. Aber sie hatte Jahre dazu gebraucht: zunächst war das Grundstück von einem Liebhaber gekauft worden, dann waren die fünfhunderttausend Francs für den Bau, die dreihunderttausend Francs für die Möbel beigebracht worden, so wie die Leidenschaft ihr die Männer gerade zutrieb. Es war ein fürstlicher Wohnsitz, von einem märchenhaften Luxus, vor allem von einem äußersten Raffinement im wollüstigen Wohlbehagen; der große Alkoven einer sinnlichen Frau, ein breites Liebeslager, das bei den Teppichen in der Diele begann, um dann aufzusteigen und sich bis zu den gepolsterten Wänden der Zimmer zu erstrecken. Heute brachte dieses Heim, das so viel gekostet hatte, manche Vorteile, denn man zahlte hier für den Ruf seiner purpurnen Matratzen, die Nächte hier waren teuer.
    Als Irma mit Claude heimkam, war sie für niemand mehr zu sprechen. Um eine Laune zu befriedigen, hätte sie Feuer an ihr ganzes Vermögen gelegt. Als sie zusammen in das Speisezimmer hinübergingen, versuchte der Herr, der gerade für alles aufkam, trotzdem einzudringen, aber sehr laut erteilte sie Weisung, ihm wegzuschicken, ohne sich darum zu scheren, ob er sie hörte. Bei Tisch lachte sie dann wie ein Kind, aß von allem, sie, die niemals Hunger hatte; und sie wandte ihre entzückten Blicke nicht von dem Maler, schien ihren Spaß zu haben an seinem starken, schlecht gepflegten Bart, an seiner Arbeitsjacke, deren Knöpfe abgegangen waren. Wie in einem Traum ließ er alles mit sich geschehen, aß ebenfalls mit dem Heißhunger schwerer Krisenzeiten. Das Abendessen verlief schweigend, der Diener servierte mit hochmütiger würdevoller Miene.
    »Louis, den Kaffee und den Likör bringen Sie bitte in mein Zimmer.«
    Es war kaum erst acht Uhr, und Irma wollte sich dort sofort mit Claude einschließen. Sie schob den Riegel vor, scherzte: Guten Abend, Madame ist zu Bett!
    »Mach es dir doch bequem, ich behalte dich hier … Na? Es ist ziemlich lange her, daß wir darüber geredet haben! Das wird ja mit der Zeit zu dumm!«
    Da zog er sich in dem prunkvollen Gemach mit den Wandbespannungen aus malvenfarbener Seide, die mit einer Silberspitze besetzt war, mit dem riesigen Bett, das gleich einem Thron mit alten Stickereien verhangen war, seelenruhig

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