Das Werk - 14
vorherrschende Farbe eines Bildes zu nehmen, deren Komplementär oder Similärfarbe festzusetzen, um auf experimentelle Weise zu Variationen zu gelangen, die zustande kamen, weil sich Rot in der Nähe von Blau zum Beispiel in Gelb verwandelte, eine ganze Landschaft den Farbton wechselte, und zwar infolge des Widerscheins und infolge der eigentlichen Zerlegung des Lichts, je nachdem was für Wolken vorüberzogen. Er schloß daraus sehr richtig, daß die Gegenstände keine feststehende Farbe haben, daß sie je nach den auf sie einwirkenden Umständen Farbe annehmen, und das große Übel war, daß ihm, wenn er nun zur unmittelbaren Beobachtung zurückkehrte, der Kopf brummte von dieser Wissenschaft, und sein durch diese Theorien beeinflußtes Auge überbetonte die feinen Abstufungen, hob in zu lebhaften Tönen die Richtigkeit der Theorie hervor, so daß die Originalität seiner Farbgebung, die ursprünglich so klar war, so flirrte vor Sonne, in Tollkühnheit umschlug, in eine Umkehrung aller Gewohnheiten des Auges, in violett schillernde Fleischpartien unter dreifarbigen Himmeln. Der Wahnsinn schien da am Ende zu stehen.
Das Elend gab Claude den Rest. Es war allmählich größer geworden, je mehr die Eheleute, ohne zu rechnen, von dem Kapital schöpften; und als kein Sou mehr von den zwanzigtausend Francs übrigblieb, brach das Elend herein, gräßlich, unabwendbar. Christine, die Arbeit suchen wollte, konnte nichts, nicht einmal nähen: sie war untröstlich über ihre untätigen Hände, ärgerte sich über ihre dumme Erziehung zu einem feinen Fräulein, bei der ihr als einziges der Ausweg blieb, eines Tages in Stellung zu gehen, wenn in ihrem Leben weiter alles so schiefging. Er, der der Pariser Spöttelei anheimgefallen war, verkaufte überhaupt nichts mehr. Eine unabhängige Ausstellung, auf der er zusammen mit Kumpeln ein paar Gemälde gezeigt hatte, gab ihm bei den Kunstliebhabern den Rest, so sehr hatte sich das Publikum über diese in allen Regenbogenfarben bunt zusammengeklecksten Bilder belustigt. Die Händler rückten aus. Allein Herr Hue machte die Fahrt in die Rue Tourlaque, verharrte dort verzückt vor den übertriebenen Stücken, vor jenen, die gleich unvorhergesehenen Raketen aufsprühten, und war verzweifelt, daß er sie nicht in Gold aufwiegen konnte; und der Maler mochte noch so oft sagen, er schenke sie ihm, er flehe ihn an, sie zu nehmen, der kleine Bürger legte hierin einen ungewöhnlichen Takt an den Tag und knauserte an seinem Lebensunterhalt, um ab und zu eine Summe zusammenzusparen und dann andächtig das irre Gemälde davonzutragen, das er neben seine Gemälde berühmter Meister hängte. Solche Glücksfälle waren zu selten. Claude mußte sich mit gängigen Arbeiten abfinden; so angewidert, so verzweifelt er auch war, in diese Tretmühle zu stürzen, in die niemals hinabzusinken er sich geschworen hatte, er wäre lieber Hungers gestorben ohne die beiden armen Wesen, die mit ihm zusammen dem Tode ausgeliefert waren. Er lernte die hingepfuschten Kreuzwege zu herabgesetzten Preisen kennen, die schockweise gemalten heiligen Männer und Frauen, die nach Schablonen gezeichneten Vorhänge, alle niedrigen Verrichtungen, die die Malerei zu einem einfallslosen, aber keineswegs harmlosen Bilderschacher herabwürdigten. Er mußte sogar die Schande erleben, daß ihm Porträts für fünfundzwanzig Francs nicht abgenommen wurden, weil sie nicht ähnlich waren; und er sank dabei ins tiefste Elend, er arbeitete »nach Maß«: gänzlich unbedeutende Händler, die ihre Ware an den Brücken feilhalten und zu den Wilden schicken, kauften bei ihm Bilder, je nach der Größe zu zwei Francs, zu drei Francs. Er kam dabei körperlich herunter, er magerte ab, wurde krank, unfähig zu einer ernsthaften Sitzung, und er betrachtete sein großes Bild in höchster Verzweiflung mit den Augen eines Verdammten, ohne mitunter eine Woche daran zu rühren, als habe er das Gefühl, seine Hände seien verdreckt und verkommen. Sie hatten kaum Brot zu essen, und im Winter wurde die Baracke unbewohnbar, diese Halle, auf die Christine so stolz gewesen, als sie dort eingezogen war. Heute schleppte sie, die einst eine so rührige Hausfrau war, sich mühsam darin herum, konnte sich nicht mehr zum Ausfegen aufraffen; und alles verkam bei diesem völligen Bankrott, der kleine Jacques wurde infolge der schlechten Ernährung noch anfälliger, ihre Mahlzeiten bestanden aus einem im Stehen zu sich genommenen Brotkanten, ihr ganzes schlecht
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