Das Werk - 14
hatte sie sich ganz hingegeben, nachdem die Menge gelacht, ihre Nacktheit ausgejohlt hatte; dann kam ihr ganzes Leben, ihre Erniedrigung zu diesem Modellstehen, bei dem sie sogar die Liebe ihres Mannes verloren hatte. Und dieses Bild wurde wiedergeboren, erstand wieder auf, lebendiger als sie selber, um sie endgültig zu töten; denn es gab hinfort nur noch ein Werk, die liegende Frau auf dem alten Gemälde, die erhob sich jetzt wieder und lebte weiter in der stehenden Frau auf dem neuen Bild.
Von nun an spürte Christine jedesmal beim Modellstehen, daß sie alt wurde. Verwirrt sah sie an sich herab, sie glaubte zu bemerken, wie sich Runzeln eingruben, wie die reinen Linien sich verzerrten. Niemals hatte sie sich so gemustert, sie empfand Scham und Ekel vor ihrem Körper, diese unendliche Verzweiflung der glutvollen Frauen, wenn die Liebe sie zusammen mit ihrer Schönheit verläßt. Liebte er sie denn deswegen nicht mehr, verbrachte er deswegen die Nächte bei anderen Frauen und flüchtete sich in die unnatürliche Leidenschaft zu seinem Werk? Sie verlor darüber den klaren Sinn für die Dinge, sie verkam dabei dermaßen, daß sie immer im Leibchen und in einem dreckigen Rock herumlief und nicht mehr mit ihrer Anmut gefallen wollte, ganz entmutigt durch den Gedanken, daß es zwecklos war, weiter zu kämpfen, da sie ja alt war.
Eines Tages schrie Claude in seiner Wut über eine schlechte Sitzung etwas heraus, was sie nicht mehr verwinden konnte. Er hätte beinahe wiederum sein Gemälde zerfetzt, war außer sich, wurde von einem seiner Wutanfälle geschüttelt, in denen er nicht zurechnungsfähig zu sein schien. Und seine Wut an ihr auslassend, schrie er, die Faust ballend:
»Nein, bestimmt, ich kann damit nichts anfangen … Ach, siehst du, wenn man Modell stehen will, dann darf man eben kein Kind kriegen!«
Empört über diese Beleidigung, rannte sie weinend davon, um sich anzuziehen. Aber ihre Hände verwirrten sich, sie fand ihre Kleidungsstücke nicht mehr, um ihre Blöße rasch genug zu bedecken.
Sofort war er voller Gewissensbisse von der Leiter herabgestiegen, um sie zu trösten.
»Nun ja, nun ja, es war nicht recht von mir, ich bin ein elender Kerl … Um Gottes willen, steh doch noch ein bißchen Modell, um mir zu beweisen, daß du mir nicht böse bist.«
Er fing sie wieder ein, nahm sie nackt in seine Arme, wollte ihr das Hemd wegnehmen, das sie bereits zur Hälfte übergestreift hatte.
Und sie verzieh ihm wieder einmal, sie stellte sich wieder in der Pose hin und zitterte so dabei, daß schmerzhafte Wellen über ihre Glieder liefen, während sie reglos wie eine Statue dastand und große, stumme Tränen von ihren Wangen auf ihren Busen fielen, wo sie weiterrannen. Ihr Kind, ach ja, bestimmt wäre es besser nicht geboren worden! Das war vielleicht der Grund von allem. Sie weinte nicht mehr, sie entschuldigte bereits den Vater, sie fühlte in sich einen dumpfen Zorn gegen dieses arme Wesen, für das niemals mütterliche Empfindungen in ihr erwacht waren und das sie nun haßte bei der Vorstellung, daß es die Geliebte in ihr zerstört hatte.
Claude jedoch blieb dieses Mal standhaft dabei, und er wollte das Bild vollenden, er schwor, daß er es trotz allem zum Salon einreichen werde. Er kam nicht mehr von seiner Leiter herunter, den Hintergrund malte er sogar bis in die stockfinstere Nacht aus. Erschöpft erklärte er endlich, daß er nicht mehr daran rühren werde; und als Sandoz an diesem Tage gegen vier Uhr heraufkam, um ihn zu besuchen, traf er ihn nicht an.
Christine antwortete, Claude sei soeben fortgegangen, um einen Augenblick auf dem Montmartre frische Luft zu schöpfen.
Der Bruch, der sich langsam zwischen Claude und den Freunden von der alten Schar vollzogen hatte, war spürbar geworden. Jeder von ihnen hatte seine Besuche immer kürzer und seltener werden lassen, weil ihnen unbehaglich war angesichts dieser verwirrenden Malerei, weil sie die Zerrüttung dieses bewunderten Helden ihrer Jugend immer mehr durcheinanderbrachte; und nun flohen sie alle, nicht einer kam mehr wieder. Gagnière, der hatte sogar Paris verlassen, um in einem seiner Häuser in Melun zu wohnen, wo er knauserig von den Mietseinkünften des anderen lebte, nachdem er sich zur Verblüffung der Kumpels mit seiner Klavierlehrerin verheiratet hatte, einem alten Fräulein, das ihm abends Wagner vorspielte. Was Mahoudeau betraf, so diente ihm seine Arbeit als Vorwand für sein Fernbleiben, denn er begann etwas Geld zu
Weitere Kostenlose Bücher