Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
alles schiefging, und die Katastrophe zu beschleunigen fürchtete, wenn sie auch nur einen Finger rührte.
    Und tatsächlich stieß er einen jähen Schmerzensschrei aus, er fluchte mit donnernder Stimme: »Himmelherrgottsakrament!«
    Er hatte oben von der Leiter die Pinsel, die er in der Hand hielt, heruntergeworfen. Blind vor Wut, zerfetzte er mit einem furchtbaren Fausthieb die Leinwand.
    Christine streckte ihre zitternden Hände aus.
    »Liebster, Liebster …«
    Aber als sie sich einen Morgenrock über die Schultern geworfen hatte und näher getreten war, empfand sie im Herzen eine schrille Freude, ein mächtiges Aufschwingen befriedigten Grolls. Die Faust hatte mitten in den Busen der anderen getroffen, ein Loch klaffte dort. Endlich war sie also getötet!
    Reglos, erschüttert über den Mord, den er begangen hatte, blickte Claude auf diese Brust, die aufgerissen war ins Leere. Ein ungeheurer Kummer über diese Wunde, aus der ihm das Blut seines Werkes zu fließen schien, erfaßte ihn. War das möglich? Hatte er denn gemordet, was ihm das Liebste auf der Welt war? Sein Zorn wich der Bestürzung, er ließ seine Finger über die Leinwand wandern und zerrte an den Rändern der Rißstelle, als wolle er die Lippen einer offenen Wunde wieder aneinanderfügen. Er würgte, er stammelte, ganz außer sich vor süßem, unendlichem Schmerz:
    »Sie ist zerfetzt … sie ist zerfetzt …«
    Da war Christine bis ins Innerste gerührt in ihrer mütterlichen Liebe für ihr großes Künstlerkind. Sie verzieh wie immer, sie sah deutlich, daß er nur den einen Gedanken hatte, sofort die Rißstelle wieder zu flicken, das Übel zu heilen; und sie half ihm, sie hielt die Fetzen, während er von hinten ein Stück Leinwand dagegenklebte. Als sie sich wieder anzog, war die andere wieder da, war unsterblich, behielt dort, wo das Herz sitzt, nur eine dünne Narbe zurück, die den Maler vollends in Leidenschaft versetzte.
    In dieser Überspanntheit, die immer schlimmer wurde, gelangte Claude zu einer Art Aberglauben, zu einem frommen Glauben an die Wirksamkeit gewisser Maltechniken. Er verwünschte das Öl als Farbbasis, sprach von ihm wie von einem persönlichen Feind. Dagegen machte Essenz glanzlos und dauerhaft; und er hatte seine eigenen Geheimnisse, die er für sich behielt, Bernsteinlösungen, flüssiges Kopal97, noch andere Harze, die rasch trockneten und verhinderten, daß die Malerei rissig wurde. Bloß mußte er dann gegen die dunklen Verfärbungen ankämpfen, denn seine ungeleimte Leinwand sog im Nu das bißchen Öl der Farben auf. Stets hatte die Frage der Pinsel ihn stark beschäftigt: er wollte sie mit einem Spezialgriff, verschmähte Marderhaar, verlangte im Ofen getrocknetes Roßhaar. Dann die Riesengeschichte mit den Palettenmessern, denn er benutzte sie für die Hintergründe wie Courbet; er besaß eine ganze Sammlung davon, lange und biegsame, breite und gedrungene, vor allem eines, das dreieckig war, wie die Glaser sie benutzen, und das er sich hatte eigens herstellen lassen, das echte Messer von Delacroix. Übrigens machte er niemals vom Schabmesser Gebrauch, vom Rasiermesser auch nicht, die er beide für schändlich hielt. Aber in der Anwendung der Tönung gestattete er sich alle möglichen geheimnisvollen Praktiken, er heckte Rezepte aus, wechselte sie alle Monate, glaubte jäh die gute Malkunst entdeckt zu haben, weil er, die Ölwoge, den alten Guß verschmähend, mit aufeinanderfolgenden Pinselstrichen arbeitete, die hingetupft wurden, bis er den genauen Farbwert erreicht hatte. Lange war es eine seiner Manien gewesen, von rechts nach links zu malen: ohne es zu sagen, war er davon überzeugt, daß ihm das Glück bringe. Und ganz schlimm hatte sich soeben das Abenteuer ausgewirkt, das ihn vollends zerrüttet hatte, seine auf alles übergreifende Theorie von den Komplementärfarben. Gagnière hatte als erster zu ihm davon gesprochen, denn der neigte ebenfalls sehr zu technischen Spekulationen; worauf er selber in der ständigen Überspanntheit seiner Leidenschaft angefangen hatte, diesen wissenschaftlichen Grundsatz zu übertreiben, der von den drei Primärfarben Gelb, Rot und Blau die drei Sekundärfarben Orange, Grün und Violett und dann eine Reihe von Komplementär und Similärfarben ableitete, deren Zusammensetzungen sich wechselweise mathematisch aus einander ergaben. So hielt die Wissenschaft ihren Einzug in die Malerei, eine Methode für die logische Betrachtung war geschaffen; man brauchte nur die

Weitere Kostenlose Bücher