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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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ehrgeizigen Frau angetrieben und hatte sich erst später seinen Freunden angeschlossen, und er hörte als Architekturstudent die Vorlesungen an der Ecole des BeauxArts12, lebte dabei kümmerlich von den letzten Hundertsousstücken, die seine Eltern mit der Hartnäckigkeit von Juden, die darauf spekulierten, daß ihnen das in der Zukunft dreihundert Prozent Gewinn eintrug, auf ihn setzten. »Alle Wetter!« murmelte Sandoz in dem tiefen Schweigen. »Dir zu sitzen ist nicht bequem! Ich breche mir noch die Handgelenke dabei … Kann ich mich etwas bewegen, he?« Ohne darauf zu antworten, ließ Claude es zu, daß Sandoz sich streckte. Mit breiten Pinselstrichen nahm er die Samtjacke in Angriff. Etwas zurücktretend und mit den Augen zwinkernd, brach er in ungeheures Gelächter aus, denn eine jähe Erinnerung erheiterte ihn.
    »Sag mal, du entsinnst dich doch an den Tag in der sechsten Klasse, an dem Pouillaud die Kerzen im Schrank dieses Blödlings Lalubie anzündete? Oh, was Lalubie für einen Schreck kriegte, als er auf sein Katheder kletterte und seinen Schrank aufmachte, um seine Bücher herauszunehmen, und er diese brennenden Kerzen erblickte! – Fünfhundert Verse mußte die ganze Klasse schreiben!«
    Von diesem Heiterkeitsanfall angesteckt, hatte sich Sandoz auf den Diwan hintüberfallen lassen, Er nahm wieder die erwünschte Haltung ein und sagte:
    »Ach, dieser Tolpatsch, der Pouillaud! – Weißt du, in seinem Brief von heute früh teilt er mir mit, daß Lalubie geheiratet hat. Dieses alte Rindvieh von einem Professor heiratet ein hübsches Mädchen. Aber du kennst sie ja, die Tochter von Galissard, von dem Krämer, die kleine Blonde, der wir Ständchen gebracht haben.«
    Die Erinnerungen strömten auf sie ein; Claude und Sandoz fanden kein Ende mehr, der eine war aufgepeitscht und malte in zunehmendem fiebrigem Eifer, der andere, immer noch der Wand zugekehrt, wandte Claude beim Sprechen den Rücken zu, während seine Schultern von Leidenschaft geschüttelt wurden.
    Da war zunächst das Gymnasium, das muffige ehemalige Kloster, das sich bis zu den Wällen erstreckte, die beiden mit riesigen Platanen bestandenen Höfe, das grünbemooste, verschlammte Wasserbecken, in dem sie schwimmen gelernt hatten, und die unteren Klassenräume, in denen die Wände vor Nässe troffen, und der vom ständigen Fettgeruch des Abwaschwassers verpestete Speisesaal, und der Schlafsaal der Kleinen, der berüchtigt war wegen der gräßlichen Dinge, die dort passierten, und die Wäscherei, und die Krankenstube, in der zartfühlende Schwestern walteten, Nonnen in schwarzer Tracht, die so sanft wirkten unter ihrer weißen Haube! Was für eine Aufregung, als Schwester Angele, deren Madonnengesicht den Hof der Großen in Aufruhr versetzte, eines Morgens mit Hermeline verschwunden war, einem Dicken aus der Unterprima, der sich aus Liebe mit dem Taschenmesser tiefe Einschnitte auf den Händen beibrachte, damit er zu ihr hinaufgehen und sich von ihr Verbände aus englischem Pflaster13 anlegen lassen konnte.
    Dann zog das ganze Personal vorbei, eine jämmerliche, groteske und furchtbare Kavalkade, Profile voller Bosheit und Leid; der Rektor, der sich dadurch zugrunde richtete, daß er Abendgesellschaften gab, um seine Töchter zu verheiraten, zwei große, schöne, elegante Mädchen, die durch abscheuliche Zeichnungen und Kritzeleien auf allen Mauern beleidigt wurden; der Studieninspektor Pifard, dessen berühmte Nase gleich einer Feldschlange hinter den Türen im Hinterhalt lag und schon von weitem seine Anwesenheit verriet; die lange Reihe der Lehrer, von denen jeder einen schimpflichen Spitznamen abbekommen hatte wie einen Dreckspritzer: der gestrenge Rhadamantys14, der nie gelacht hatte; Dreckbart, der die Katheder schwarz machte, weil er ständig seinen Kopf daran rieb; DubetrügstmichAdèle, der Physiklehrer, ein Hahnrei, wie er im Buche steht, dem zehn Generationen von Schlingeln den Namen seiner Frau nachschrien, die, wie es hieß, einst in den Armen eines Karabiniers überrascht worden war; andere noch, Spontini, der wilde Pauker mit seinem korsischen Messer, das vom Blut dreier Vettern rostrot war und das er herumzeigte; der kleine Wachtelschlag, der so gutmütig war, daß er beim Spaziergang das Rauchen gestattete; sogar ein Küchenjunge und die Geschirrspülerin, zwei Scheusale, denen man die Spitznamen Parabolomenos und Paralleluca gegeben hatte und denen man nachsagte, sie hielten ihre Schäferstündchen auf den Gemüseabfällen.

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