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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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aufgewühlt hatten, ließ sie den Boulevard überqueren, um durch die weit offene Tür einen kurzen Blick in das Café zu werfen. Sie wollten ihren Tisch von einst hinten links wiedersehen.
    »Oh, sieh doch!« sagte Sandoz bestürzt.
    »Gagnière«, murmelte Claude.
    Es war tatsächlich Gagnière, ganz allein an jenem Tisch hinten in dem leeren Gastzimmer. Er war wohl von Melun wegen eines jener Sonntagskonzerte herübergekommen, deren Besuch er sich als Luxus leistete; am Abend hatte er sich dann ganz verloren gefühlt in Paris, und seine Beine hatten ihn aus alter Gewohnheit zum Café Baudequin getragen. Nicht einer der Kumpels kam noch hierher, und er, der Zeuge eines anderen Zeitalters, beharrte starrköpfig darauf, sich einsam hier niederzulassen. Er hatte seinen Schoppen noch nicht angerührt, er schaute hinein, war so in Gedanken versunken, daß er sich nicht rührte, als die Kellner die Stühle auf die Tische zu stellen begannen, damit am nächsten Morgen ausgefegt werden konnte.
    Die beiden Freunde beschleunigten ihren Schritt, beunruhigt über diese undeutliche Gestalt, von kindlichem Grauen vor Gespenstern erfaßt. Und sie trennten sich in der Rue Tourlaque.
    »Ach, dieser unglückliche Dubuche!« sagte Sandoz und drückte Claude die Hand. »Der hat uns den ganzen Tag verdorben.«
    Gleich im November, sobald die alten Freunde alle wieder zurück waren, gedachte Sandoz sie zu einem seiner Donnerstagabendessen zu versammeln, denn diese Gewohnheit hatte er beibehalten. Das war immer noch die beste seiner Freuden: der Absatz seiner Bücher stieg, machte ihn reich; die Wohnung in der Rue de Londres war im Vergleich mit dem bürgerlichen Häuschen in Les Batignolles sehr luxuriös eingerichtet; aber er blieb unveränderlich der alte. Außerdem hatte er sich dieses Mal in seiner Gutmütigkeit vorgenommen, Claude durch einen ihrer geliebten Abende aus der Jugendzeit eine gewisse Zerstreuung zu verschaffen. Deshalb paßte er bei den Einladungen auf: Claude und Christine natürlich; Jory und seine Frau, die er seit ihrer Heirat schon bei sich empfangen mußte; dann Dubuche, der immer allein kam; Fagerolles, Mahoudeau und schließlich Gagnière. Man würde zu zehnt sein, und nur Kumpels von der alten Schar, niemand, der störte, damit das gute Einvernehmen und die Fröhlichkeit ungetrübt seien.
    Henriette, die mißtrauischer war, zögerte, als sie diese Einladungsliste aufstellten.
    »Oh, Fagerolles? Meinst du wirklich, Fagerolles zusammen mit den anderen? Sie mögen ihn nicht gerade … Und Claude übrigens auch nicht, ich glaube, da hat sich manches abgekühlt.«
    Aber er unterbrach sie, weil er das nicht zugeben wollte:
    »Wieso abgekühlt? – Komisch, ihr Frauen könnt nicht verstehen; daß man sich mal gegenseitig aufzieht. Aber das hindert doch nicht, daß man das Herz auf dem rechten Fleck hat.«
    An diesem Donnerstag wollte sich Henriette ganz besonders um die Speisefolge kümmern. Sie hatte nun ein kleines Hauspersonal anzuleiten, eine Köchin, einen Diener; und wenn sie auch die Gerichte nicht mehr selber zubereitete, so hielt sie doch aus Liebe zu ihrem Mann, dessen einziges Laster seine Feinschmeckerei war, weiter auf eine delikate Tafel. Sie begleitete die Köchin in die Markthalle, ging persönlich bei den Lieferanten vorbei. Das Ehepaar hatte Geschmack an gastronomischen Raritäten aus allen Enden der Welt! Diesmal entschied sie sich für eine Ochsenschwanzsuppe, Steinbarben vom Rost, Filet mit Steinpilzen, Raviolis109 auf italienische Art, Haselhühner aus Rußland und einen Trüffelsalat; außerdem Kaviar und Kilki110 als Vorspeise, Eis mit gebrannten Mandelsplittern, einen kleinen ungarischen smaragdgrünen Käse, Früchte, Gebäck. Als Wein lediglich alten Bordeaux in Karaffen, Chambertin111 zum Braten und einen Moselschaumwein zum Nachtisch, anstelle des Champagners, der als alltäglich angesehen wurde.
    Von sieben Uhr an erwarteten Sandoz und Henriette ihre Gäste, er im schlichten Jackett, sie sehr elegant in einem ganz schmucklosen schwarzseidenen Kleid. Man kam zu ihnen ohne große Umstände im Gehrock. Der Salon, den sie bereits fertig eingerichtet hatten, war voll von alten Möbeln, alten Wandbehängen, Nippes aller Völker und aller Jahrhunderte – eine steigende Flut, die jetzt über die Ufer trat und die in Les Batignolles mit dem alten Topf aus Rouen begonnen, den sie zum Namenstag geschenkt hatte. Sie gingen zusammen zu den Antiquitätenhändlern, voller Freude gaben sie sich dieser

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