Das Werk - 14
Genies, das immer Neues gebiert, auf das einfache Hervorbrechen des Genies der Griechen reduziert. Die Künstler dieses Landes haben das absolute Schöne gefunden, und von da an ist alles gesagt … Mehr als zwei Jahrtausende lang wandelt sich die Welt, entstehen und vergehen neue Zivilisationen, treten Gesellschaftsformationen in den Vordergrund oder sind inmitten wechselnder Sitten im Dahinsiechen begriffen.., Künstler werden hier und dort geboren, in den blassen kühlen Morgen Hollands, in den warmen wollüstigen Abenden Spaniens, was tut’s, die absolute Schönheit ist da, unwandelbar die Jahrhunderte beherrschend, und an ihr zerschlägt man dieses ganze Leben, all diese Leidenschaften und all diesen Einfallsreichtum …«
Gegenüber dieser statischen Kunstauffassung vertreten die Impressionisten nach Zolas Meinung den lebendigen Wandel, das Neue, und er vertritt es mit ihnen. Und so setzt er dieser akademischen normativen Kunsttheorie im Namen der modernen Kunst seine eigene entgegen, die auf zwei Pfeilern ruht:
1. auf der Anerkennung des tatsächlichen Lebens, der wirklichen Natur als einziger gültiger Vorlage der Kunst – wobei es in diesem Zusammenhang sekundär ist, daß Zola die Bedeutung dieser Erkenntnis nun seinerseits durch eine statische Auffassung ebendieser »ewig gleichbleibenden Natur« eingrenzt, weil sich diese Eingrenzung vom Objekt her selbst aufhebt: denn Natur bedeutet in diesem Falle Freigabe aller Sujets der Realität für die Darstellung des Künstlers, speziell des Malers;
2. auf der Forderung nach einer kraftvollen persönlichen Handschrift, nach dem originellen Ausdruck der künstlerischen Individualität. Nur durch das volle ZurGeltungBringen des Temperaments scheint ihm der Fortschritt in der Kunst, das Aufdecken immer neuer Seiten des Lebens, der Natur gesichert.
Mit diesem Begriff des Temperaments umfaßte Zola zugleich die aus der »Natur« ausgesonderte gesellschaftliche Komponente der durch den Menschen gewandelten und veränderten Objektwelt wie auch die durch die gesellschaftlichen Bedingungen sich wandelnde Subjektivität. Denn in einer Kunstausstellung, wie er sie sich wünschte, ist »das Schöne nicht mehr etwas Absolutes, ein lächerliches gemeinsames Maß«, wie es in dem gleichen Artikel weiter heißt, »sondern das Schöne wird das menschliche Leben selbst, das menschliche Element mischt sich mit dem gleichbleibenden Element der Realität und bringt eine Schöpfung zur Welt, die der Menschheit gehört … Diese Kunstwerke haben alle die wirkliche Schönheit, das Leben, das Leben in seinen tausend Ausdrucksformen, immer wechselnd, immer neu …«
Diese dem Leben zugewandte neue Kunst bedeutete zugleich eine Absage an die von der traditionellen Kunstauffassung geheiligte Rangfolge der Sujets.
So wie in der Literatur bis ins 19. Jahrhundert hinein die Vorstellung galt, daß große Kunst an die Abfassung eines Epos gebunden sei – und wir wissen, daß noch Hugo von dieser Idee beherrscht war und selbst der junge Zola zunächst den Plan hatte, ein solches Epos im traditionellen Sinne, d.h. ein langes Gedicht in Versen über einen erhabenen Gegenstand, zu schreiben –, gab es auch in der Malerei eine Wertpyramide der Gegenstände: An der Spitze rangierten die religiösen und historischen Sujets (zu denen die Darstellung von Kriegen und Schlachten kamen, die sogenannte Bataillenmalerei), dann folgten Porträts, Genrebilder und Interieurs. Stilleben und Landschaften standen auf der untersten Stufe. Für die Darstellung des einfachen, alltäglichen, »bürgerlichen« Lebens war in dieser Stufenleiter kein Platz. Wer sich solchen Gegenständen zuwandte, war von vornherein abgestempelt.
Um diese echte und notwendige Gebietserweiterung der bildenden Kunst ging es aber den Malern des Impressionismus. Hierin trafen sich ihre Bestrebungen mit denen Zolas und der Naturalisten. (Zola nannte die Impressionisten in seinen Artikeln nicht zufällig meist »Naturalisten«!) Künstler, die wie »Herr Ribot der Kunst nichts Neues hinzugefügt haben«, verdienen gar nicht diesen Namen. Die Impressionisten dagegen vertraten eine Kunst, die »die Flamme des modernen Lebens wiedergeben wollte, deren Innerstes beim Anblick der Realität und der zeitgenössischen Existenz in Bewegung gerät« (Duranty). Sie waren mit allen Fasern ihres Seins »modern«, Bewunderer des wirklichen Lebens mit all seinen Veränderungen, seinen Neuerungen, seinen technischen Fortschritten.
Wie die
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