Das Werk - 14
sondern bereits vorher in zwei Erzählungen und einer Reihe Feuilletons beschrieben.
Sogar das Gasthaus der Faucheurs ist authentisch. Ebenso entsprechen eine Reihe anderer Details aus dem Roman dem tatsächlichen Verhältnis zwischen Cézanne und Zola, so z.B. die finanziellen Unterstützungen des Malers durch den schneller erfolgreichen Schriftsteller und die jahrelange innige Freundschaft der beiden Künstler. Und Cézanne war, ebenso wie im Roman Claude bei Sandoz, ständiger Gast der Donnerstagabende im Hause Zolas.
Auch die physische Ähnlichkeit zwischen Cézanne und Claude, »dieser hagere Bursche mit den knochigen Gliedern … mit seinem starken Bart, seinem mächtigen Kopf«, seiner zarten »Frauennase, die verloren wirkte in dem struppigen Haar über seinen Lippen«, ist auffallend, ebenso wie, Claudes Reaktion auf seinen Mißerfolg im Salon der Abgelehnten, sein Auftrumpfen bei dem nachfolgenden Zusammensein in der Freundesrunde an gewisse Eigenschaften Cézannes erinnert, die Zola in einem Brief an Baille vom 10. Juni 1861 folgendermaßen darstellt: »Wenn er zufällig eine andere Meinung vorbringt und Sie sie diskutieren, braust er auf, ohne sie überhaupt prüfen zu wollen, schreit Sie an, daß Sie nichts von der Sache verstehen, und springt auf ein anderes Thema über.«
Claudes verzweifeltes Ringen mit der Natur, das Suchen nach der besten Methode der Wiedergabe war Cézanne ebenfalls nicht unbekannt. 1879 schreibt er an Zola, daß er sich noch immer bemühe, seinen Weg als Maler zu finden. »Aber die Natur, bereitet mir die größten Schwierigkeiten.« Und Zola wiederholt diese Selbsteinschätzung Cézannes in seinem Salonbericht vom nächsten Jahr mit der Feststellung, daß der Freund zwar das »Temperament eines großen Malers habe, sich aber noch mit dem Suchen nach der ›facture‹ herumschlage« und »näher bei Courbet und Delacroix … als bei den Impressionisten« sei. Cézannes Bilder aus dieser Reifezeit der siebziger und achtziger Jahre bestätigen dies. Sie zeigen häufig leere, unausgeführte Stellen, denn Cézanne. wollte nur das malen, was er wirklich sah und aufgenommen hatte und wofür er auch glaubte die entsprechende Farbtönung in der Wiedergabe gefunden zu haben. Wenn er mit diesem selbstgesteckten Ziel nicht zu Rande kam, blieben die Bilder oft an einzelnen Stellen im malerischen Entwurf stecken. Claude gleicht auch in dieser Eigentümlichkeit der künstlerischen Auffassung dem Freund des Schriftstellers. Selbst die Episode, in der Claudes Gemälde »Das tote Kind« aus Gnade und Barmherzigkeit zum Salon zugelassen wird, ist eine authentische Begebenheit aus der Karriere Cézannes. Seine Bilder waren stets von der Jury zurückgewiesen worden. Ein einziges Mal, 1882, konnte er durch Vermittlung seines Freundes Guillemet ein Bild ausstellen. Guillemet hatte es in seiner Eigenschaft als Jurymitglied (wie Fagerolles im Roman) »rausgefischt«, und so kam es, daß Cézanne im Katalog als sein Schüler figurierte. Dieses Bild wurde, genau wie das Bild Claudes, sehr ungünstig placiert, so daß Cézanne, verärgert über den Mißerfolg, Paris verließ und nach Aix ging.
Trotz dieser mehrfachen Übereinstimmung ist Claude nicht einfach ein Porträt Cézannes. Das zeigt gerade die letzte Episode. Obwohl sie auf einen tatsächlichen Vorfall zurückgeht – wie dieses ganze. Kapitel X über den Salon deutlich aus Zolas unmittelbaren Eindrücken von seinen unzähligen Ausstellungsbesuchen und berichten gespeist wird, d.h. gleichsam »nach der Natur« gezeichnet ist –, hat Zola Claudes ausgestelltes Bild hinsichtlich der Thematik frei erfunden. Cézanne hat nie den Kopf eines toten Kindes gemalt. Dieses Sujet schien ihm gar nicht zu liegen, ganz abgesehen davon, daß sein eigener Sohn hoch lebte. Als seine Mutter starb, bat er ausdrücklich einen Freund, ihm ein Bild von ihr auf dem Totenbett anzufertigen. Das Thema an sich mußte aber irgendwie in der Luft liegen. Monet schrieb 1879 in einem Brief an Georges Clemenceau, daß er die wechselnden Farben auf dem Gesicht seiner sterbenden Frau studiert habe. Und Edmond de Goncourt schildert in seinem Künstlerroman »La Faustin«, wie die Schauspielerin, von dem wechselnden Mienenspiel und den Grimassen ihres sterbenden Geliebten gefesselt, vor den Spiegel tritt und jede seiner Zuckungen nachzuahmen trachtet.
Für Zolas Roman ergab sich diese Sujetwahl aus der inneren Logik der sich anbahnenden menschlichen Tragödie.. Mehr und mehr
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