Das Werk - 14
Naturalisten entdeckten sie den Zauber der Großstadt, das Wimmeln der Straßen und vor allem der neuen Vergnügungsstätten, den malerischen Reiz der Eisenbahnen und Brücken und der rauchenden Schornsteine, kurz »all der verschiedenartigen und lebendigen Facetten unserer Zivilisation«, wie Duranty 1876 in seiner Broschüre über die neue Malerei schreibt. Sie verlegten das Atelier aus den geschlossenen Räumen gleichsam auf die Straße, in die frische Luft (pleinair!), ins gleißende Sonnenlicht, dessen Zaubereffekte sie mit neuen Maltechniken und wissenschaftlichen Theorien über die Lichtwirkungen ebenso auf die Leinwand zu bannen suchten wie die irisierenden Töne der künstlichen Gasbeleuchtung, wenn am Abend im Schein der Laternen die breiten Boulevards zauberhaft erglänzten oder die engen Gäßchen des Montmartre geheimnisvoll leuchteten.
Sie hielten bildlich fest, was Zola in seinen Romanen sprachlich zu gestalten versuchte, und wandten sich dabei den gleichen Gegenständen zu. Die Wesensgleichheit des ureigensten künstlerischen Anliegens erklärt das nicht erlahmende Interesse an der Entwicklung der impressionistischen Schule, das Zola während all der Jahre seines journalistischen Werkens (das bis 1880/81 mit großer Intensität neben seiner eigentlichen schriftstellerischen Arbeit einherging) in immer neuen Salonberichten bekundete. Dem ersten Salonbericht von 1865, den Zola mit einer Widmung an Cézanne noch im gleichen Jahr unter dem Titel »Mein Salon« als Broschüre veröffentlichte, folgte im Januar 1867 eine Sonderstudie über Manet und im Sommer ein ausführlicher Bericht über die Kunstausstellung auf der Exposition Universelle. 1868 erschien im »Evénement illustré« ein neuer Salonbericht, wiederum mit einer anerkennenden Reverenz für Manet. Die Chroniken, die Zola von 1875 bis 1879 für den in Petersburg erscheinenden »Westnik Jewropy« schrieb, enthielten 1875, 1876, 1878 und 1879 ebenfalls je einen Salonbericht. 1880 schrieb Zola den Salonbericht für den »Voltaire« und 1884, also zu einem Zeitpunkt, da er seine publizistische Tätigkeit im wesentlichen eingestellt hatte, noch das Vorwort für den Katalog der Gedenkausstellung zu Ehren Manets anläßlich seines Todes. Dann verstummte der Kunstkritiker Zola. Nur noch einmal ließ er sich vernehmen, 1896, um die sichtbar gewordenen praktischen Ergebnisse seines Kampfes für die Impressionisten anhand der Malerei ihrer Nachfolger kritisch zu überprüfen. Und wenngleich diese Überprüfung für den Neoimpressionismus nicht günstig ausfiel, so revozierte Zola doch nicht die Begeisterung seiner Jugend für die große Initiative, die seine Weggefährten von einst, allen voran Manet, zur Erneuerung der Kunst ergriffen hatten.
Sein Urteil über Manet, über Monet und Pissarro, über Renoir, Degas und Sisley ist von der weiteren Entwicklung bestätigt worden. Es sprach nicht nur für die Unabhängigkeit von Zolas Meinungsbildung, ihr Talent zu einer Zeit erkannt zu haben, da sie noch vom Publikum verlacht und von allem, was in der Malerei Rang und Namen hatte, abgelehnt wurden, sondern auch für seinen Kunstsinn und sein Kunstverständnis, dem es auch keinen Abbruch tat, daß seine Salonberichte nicht alle Schlagwörter des gängigen Jargons der Fachkritiker enthielten.
Zolas Kompetenz als Kunstkritiker ist speziell von den Kunsthistorikern stark angezweifelt worden. John Rewald, dessen Arbeiten über den Impressionismus für diese Periode grundlegend sind, wirft Zola in seinem Buch »Cézanne, sein Leben, sein Werk und seine Freundschaft mit Zola« vor, weder vom Impressionismus im allgemeinen noch von der Malerei seines Freundes Cézanne im besonderen etwas verstanden zu haben.
Dieser Vorwurf wird von fast allen anderen Biographen Cézannes erhoben und bis in die jüngsten Untersuchungen über Cézanne und Zola als Kunstkritiker hinein wiederholt.
Er stützt sich weniger auf Zolas eigentliche kritische Artikel als vielmehr auf seinen Roman »Das Werk«, in dem man eine mißglückte Biographie Cézannes und eine ebenso mißglückte Darstellung der impressionistischen Schule insgesamt sehen wollte.
Schon die Zeitgenossen betrachteten diesen vierzehnten Roman der »RougonMacquart«Reihe als einen Schlüsselroman und identifizierten Cézanne mit der Gestalt Claudes. Zugleich aber meldeten sich Zweifel zu Worte. Philippe Gille, ebenfalls ein Zeitgenosse Zolas, nannte neben Cézanne noch Manet, Monet, Pissarro als mögliche Protagonisten
Weitere Kostenlose Bücher