Das Werk - 14
der Romanfigur, und neuere Studien zu Zola haben nachzuweisen versucht, daß die Gestalt Claude Lantiers aus Reminiszenzen an biographische Details aus dem Leben verschiedener Maler, nicht nur Cézannes und Manets, auch Monets, André Gills, Holtzapfels und sogar aus dem Leben des Schriftstellers und Kritikers Duranty zusammengesetzt ist. Monets Leben schien dem Rhythmus der persönlichen Beziehungen Claudes zu Christine am ehesten zu entsprechen, obwohl die Hauptetappen dieses Weges – freie Liebesbeziehung, gemeinsamer Hausstand und Kind, spätere Heirat – mehr oder weniger für alle Impressionisten, für Cézanne ebenso wie für Manet, ja selbst, mit Ausnahme des Kindes, auch für Zola zutrafen. André Gill könnte Zola die Idee der fortschreitenden »genialen« Überspanntheit geliefert haben (wenn man glaubt, daß Zolas naturalistische Theorien dafür nicht ausreichten!). Von Gill ist bekannt, daß er, ähnlich wie Claude, am Tage der Vorbesichtigung des Salons wie irrsinnig die Reaktion des Publikums auf seine Bilder erwartete. Holtzapfel war der einzige Maler, der Selbstmord beging (1866). Er hatte sich angesichts eines nicht vollendeten Bildes erschossen – angeblich, wie Zola in seinem Bericht ausführte, aus Verzweiflung über die Ablehnung durch die Jury. Doch diese Behauptung paßte zu gut in Zolas beabsichtigte »Evénement«Kampagne, als daß man ihr zu große Bedeutung beimessen dürfte. Andere Forscher haben die Lösung der Katastrophe durch den Selbstmord des Helden auf literarische Reminiszenzen, speziell auf das Vorbild von Balzacs »Unbekanntem Meisterwerk«, zurückführen wollen, falls sich diese Lösung Zola nicht ganz einfach aus der inneren Logik seines Sujets anbot, wie man wiederum einschränkend hinzufügen muß. Claudes Begräbnis im letzten Kapitel gemahnt an die Beisetzung Durantys (1880), mit dem Zola ebenfalls näher bekannt war. Auch die verzweifelte finanzielle Situation der Witwe Claudes im Roman stimmt mit der Notlage von Frau Duranty nach dem Tode ihres Mannes überein. Zola unterstützte Frau Duranty ebenso wie Sandoz im Roman die Frau seines toten Freundes.
Obwohl eine solche Art der Literaturgeschichtsbetrachtung die Analyse eines Kunstwerks in eine Art Puzzlespiel aufzulösen droht, kann man im vorliegenden Fall nicht übersehen, daß dieser Vornan mehr als andere aus persönlichen Erinnerungen Zolas gespeist ist Schließlich handelte es sich um einen Malerroman, und Maler waren jahrelang seine engsten Freunde. Das Auffinden der »Quellen«, die Zola im vorliegenden Fall zweimal – in der dokumentarischen Form der kunstkritischen Artikel seiner Salonberichte und der romanhaften Wiedergabe im »Werk« – verarbeitet hat, gestattet umfassender als sonst einen Blick in die Werkstatt des Schriftstellers und erlaubt zugleich eine Antwort auf die Frage nach Zolas Kompetenz als Kunstkritiker.
Da ist zunächst die von Zeitgenossen und einem Teil der Fachwissenschaft angenommene Gleichsetzung der zentralen Romangestalt Claude mit Zolas Freund Cézanne zu überprüfen. Dieser Gleichsetzung durch die Forschung hatte Zola selbst durch die namentlichen Erwähnungen des Künstlers im Entwurf zu seinem Roman Vorschub geleistet. Auf Cézanne bezogen sich auch offensichtlich all jene Passagen des Entwurfs, in denen Zola von dem Herkunftsort Claudes (PlassansAix), von seiner eigenen Jugendfreundschaft mit ihm und Baille und Valabrègue und von all dem spricht, was sie gemeinsam verband, ohne allerdings in diesen Fällen den Namen des lebenden Vorbildes seines Helden ausdrücklich zu nennen.
Das Kapitel VI, in dem das zurückgezogene Leben Claudes und seiner Familie in Bennecourt geschildert wird, sowie der Ausflug von Claude und Sandoz nach dem. gleichen Ort im Kapitel XI und das enttäuschende Wiedersehen mit dem Gasthaus in Bennecourt gehen sicher ebenfalls auf solche authentischen Erinnerungen Zolas an gemeinsame Erlebnisse mit Cézanne zurück. Im Sommer 1866 verbrachte er dort längere Zeit gemeinsam mit Cézanne. Er schreibt in einem Brief vom 26. Juli 1866 an Coste, der mit Baille, Chaillan und Valabrègue ebenfalls zum Aixer Kreis gehörte: »Sechzehn Meilen von Paris entfernt gibt es eine Gegend, die die Pariser noch nicht kennen, wo wir unsere kleine Kolonie aufgebaut haben … Durch unsere Einsamkeit fließt die Seine. Dort leben wir im Boot, als Zufluchtsplätzchen haben wir verlassene Inseln und schwarze schattige Winkel.«
Diese Gegend hat Zola nicht nur im »Werk«,
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