Das Werk - 14
zerstört der Dämon »Kunst« Claudes Leben und damit zugleich das seiner Familie. Sein Sohn, seine Frau, haben für ihn nur noch das Interesse kostenloser, stets greifbarer, bis zur Erschöpfung ausnutzbarer Modelle. Die kindliche Unruhe Jacques’ beeinträchtigt jedoch seine Verwendbarkeit in dieser Funktion. Erst als er tot ist, wird er zu einem idealen Modell. »Ach, jetzt kannst du ihn malen«, sagt Christine, »er wird sich nicht mehr rühren.« Und Claude malt ihn tatsächlich, er kann der Verlockung Rieses eigentümlich makabren Sujets nicht widerstehen. Der Schmerz des Vaters über den Verlust des Sohnes verlischt im befriedigten Lächeln des Künstlers über das gelungene Werk, denn sein Menschsein ist durch sein Künstlertum aufgesogen und zerstört.
So wie Zola in diesem Fall ein bestimmtes biographisches Detail von Cézanne nahm und nach den Erfordernissen der Handlungsführung seines Romans umgestaltete, verlieh er seiner Gestalt auch Züge, die, sofern sie überhaupt eines unmittelbaren Vorbildes in der Wirklichkeit bedurften, zweifelsohne anderen bekannten Malern entlehnt sind.
Die Rolle, die Zolas Held in der neuen Schule spielt, entspricht viel mehr der Stellung Manets innerhalb der Impressionisten als der Cézannes. Zola hat in Paul Cézanne nie den repräsentativen Vertreter der neuen Richtung gesehen. Die vorerwähnten Worte über ihn aus dem Salonbericht von 1880 waren die ersten, mit denen er sich in seinen kunstkritischen Artikeln zur Malerei des Freundes öffentlich äußerte. Manet dagegen wurde von Zola vom ersten Tage an als der kommende Meister angesehen, der nur noch der Zeit des Ausreifens bedürfe. Zwar korrigierte er diese Meinung in den Artikeln im Petersburger »Westnik Jewropy«, auch er erschien ihm nicht das erwartete notwendige Genie, aber Manets Größe als Künstler wurde von Zola selbst zu dieser Zeit nie in Frage gestellt. Er ist »das größte Talent«, ein wirklich »moderner« Künstler, »der originellste seiner Zeit«, dessen Werk »einen immer spürbarer werdenden Einfluß auf die moderne Schule ausübt«. Deshalb erkennt ihn auch eine ganze Gruppe von Künstlern als ihren Chef an, obwohl er sich selbst mehr abseits hält. Beides, Größe und Grenze Manets und seine relative Absonderung, würden, wenn man die notwendigen Modifikationen der literarischen Umsetzung in Rechnung stellt, ungefähr Claudes Rolle im Roman entsprechen.
Manet war jahrelang durch Jury und Publikum die gleiche schimpfliche Behandlung zuteil geworden wie Claude. 1875 schreibt Zola, daß sich Manet seit fünfundzwanzig Jahren herumschlage, um die Sympathien des Publikums zu gewinnen. » … die Jury lehnt seine Bilder ab, das Publikum bricht beim bloßen Anblick seines Gesichts in Heiterkeitsstürme aus. Er ist ein Gegenstand des Spottes für die Kritik und folglich für ganz Paris.«
Diese Ablehnung Manets hinderte jedoch geschicktere Kollegen seiner eigenen und der jüngeren Generation nicht, seine Ideen, seine künstlerischen Neuerungen skrupellos auszuplündern. Zola schreibt: »Sein Einfluß auf die ganze moderne Malerei ist unbestreitbar: um das zu konstatieren, genügt es, die jungen Maler zu betrachten, die nach ihm gekommen sind, ganz zu schweigen von jenen älteren Kollegen, die ihn einfach mit einer unglaublichen Anpassungsfähigkeit plagiierten und sich dabei weiter über ihn lustig machten; diese Herren haben ihm seine blonde Farbe gestohlen, die Exaktheit des Tones, seine ganze naturalistische Malweise, aber sie haben dies alles nicht naiv kopiert, sondern sie haben diese Malerei für den Geschmack des Publikums zurechtgemacht, so daß sie die Menge für sich gewannen, während diese fortfuhr, Edouard Manet weiter zu beschimpfen … Ja, sein Einfluß hat sogar die Schüler von Herrn Gérôme und Herrn Cabanel angesteckt …«
Diesen Vorgang hat Zola mit dem letzten Salon im Roman und mit dem Verhältnis Claudes zu Fagerolles festhalten wollen. Wiederum erscheint eine Romanfigur als Kontamination mehrerer authentischer Personen und Vorgänge. Im Entwurf nennt Zola selbst den Namen des Malers Gervex, eines Schülers Cabanels, den er in den Salonberichten von 1879 und 1880 als einen jener »geschickten« Plagiatoren gekennzeichnet hatte, »die durch raffinierte Fälschung verwirklichen, was jene impressionistischen Maler wollten«. Daneben erwähnt Zola noch BastienLepage und Duez. Aber schon 1875 hatte er auf einen anderen Maler hingewiesen, dessen Schilderung fast genau mit der
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