Das Werk - 14
Pflugochse. Sofort war Jory über den Entwurf zur Weinleserin in Verzückung geraten. Auch er schwärmte für die üppigen Frauen. Er hatte dort unten in Plassans seine ersten literarischen Versuche unternommen, indem er in romantischen Sonetten den Busen und die ausladenden Hüften einer schönen Fleischersfrau pries, die ihn nachts um seinen Schlaf brachte; und in Paris, wo er die Schar wiedergetroffen hatte, war er Kunstkritiker geworden; er schrieb, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, Artikel zu zwanzig Francs für das kleine Radaublatt »Le Tambour38«. Einer dieser Artikel, eine Abhandlung über ein Gemälde von Claude, das bei Vater Malgras ausgestellt war, hatte einen riesigen Skandal ausgelöst, denn darin opferte er seinem Freunde die »vom Publikum geliebten« Maler und stellte ihn als Oberhaupt einer neuen Schule vor, der Freilichtschule. Im Grunde war er sehr praktisch veranlagt, und ihm war alles egal, was nicht seinem Sinnengenuß diente, er wiederholte lediglich die Theorien, die er in seinem Freundeskreis hörte.
»Weiß du, Mahoudeau«, rief er, »du sollst deinen Artikel kriegen, ich werde dein Prachtweib schon lancieren … Ah, was für Schenkel! Wenn man sich solche Schenkel leisten könnte!« Dann ging er jäh zu etwas anderem über. »Ach, was ich noch sagen wollte, der Geizhals, mein Vater, hat sich bei mir entschuldigt. Ja, er fürchtet, daß ich ihm Schande bereite, er schickt mir jetzt hundert Francs im Monat … Da kann ich also endlich meine Schulden bezahlen.«
»Schulden? Du bist zu vernünftig, um Schulden zu machen!« murmelte Sandoz lächelnd.
Jory legte tatsächlich einen ererbten Geiz an den Tag, an dem die anderen ihren Spaß hatten. Er gab kein Geld für Frauen aus, es gelang ihm, ohne Geld und ohne Schulden sein liederliches Leben zu führen; und diese angeborene Wissenschaft, sich Genuß umsonst zu verschaffen, verband sich bei ihm mit einer ständigen Doppelzüngigkeit, mit der Gewohnheit zu lügen, die er in der frömmelnden Umgebung seiner Familie angenommen hatte, wo die Sorge, seine Laster zu verbergen, ihn veranlaßte, bei all und jedem, zu jeder Stunde, sogar unnötigerweise zu lügen. Er gab eine großartige Antwort, stieß den Schrei eines Weisen aus, der viel erlebt hatte:
»Oh, ihr, ihr wißt ja nicht, was Geld wert ist.«
Dieses Mal wurde er ausgejohlt. Was für ein Spießer! Und es fielen immer schlimmere Schimpfworte.
Da machten leise Schläge gegen eine Scheibe dem Lärm ein Ende. »Ach, die fällt einem schließlich auf die Nerven!« sagte Mahoudeau mit einer verdrießlichen Handbewegung. »Ha, wer ist denn das? Die Kräuterkrämerin?« fragte Jory. »Laß sie doch reinkommen, das wird ulkig.« Übrigens war die Tür bereits aufgegangen, und die Nachbarin, Frau Jabouille, Mathilde, wie man sie vertraulich nannte, erschien auf der Schwelle. Sie war dreißig Jahre alt, hatte ein ausdrucksloses, durch die Magerkeit entstelltes Gesicht mit leidenschaftlichen Augen und bläulichen, wunden Lidern. Es wurde erzählt, daß die Priester sie mit dem kleinen Jabouille verheiratet hatten, einem Witwer, dessen Kräuterladen damals dank der frommen Kundschaft des Viertels florierte. Die Wahrheit war, daß man mitunter verschwommene Schatten von Soutanen gewahrte, die durch das Mysterium des von den Aromen des Weihrauchs durchdufteten Ladens schritten. Es ging dort beim Verkauf von Kanülen verschwiegen zu wie in einem Kloster, salbungsvoll wie in einer Sakristei; und die Betschwestern, die dort eintraten, flüsterten wie im Beichtstuhl, ließen Spülapparate tief in ihre Handtaschen gleiten, gingen dann gesenkten Blickes davon. Unglücklicherweise waren Gerüchte über Abtreibungen in Umlauf gekommen: eine Niederträchtigkeit des Weinhändlers von gegenüber, sagten die rechtgesonnenen Leute. Seit der Witwer wieder verheiratet war, siechte der Kräuterladen langsam dahin. Die Glasbehälter schienen zu verblassen, die getrockneten Kräuter an der Decke zerfielen in Staub, der Kräuterkrämer selber hustete sich schier die Seele aus dem Leib, war zu einem Nichts zusammengeschrumpft und hatte kein Fleisch mehr auf den Knochen. Und obwohl Mathilde religiös war, zog sich die fromme Kundschaft nach und nach von ihr zurück, weil sie fand, sie bringe sich nun, da Jabouille verbraucht war, zu sehr mit jungen Leuten ins Gerede.
Einen Augenblick verharrte Mathilde reglos und durchwühlte mit einem raschen Blick die Winkel. Ein strenger Geruch hatte sich verbreitet, der
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