Das Werk - 14
fernen Perspektiven dahin und hoben sich klar vom Himmel ab, während der Jardin des Tuileries43 die runden Wipfel seiner großen Kastanienbäume übereinanderstufte. Und zwischen den beiden grünen Rändern der Seitenalleen stieg die Avenue des ChampsElysées ganz hoch an, so weit das Auge reichte, bis hin zum riesigen Tor des Arc de Triomphe44, das sich weit zum Unendlichen auftat. Dort wälzte sich eine doppelte Strömung der Menschenmenge dahin, ein doppelter Strom mit den lebendigen Strudeln der Gespanne, den fliehenden Wogen der Wagen, die das Blinken eines Wagenschlags, das Funkeln einer Laternenscheibe mit weißem Gischt zu tönen schien. Der Platz mit den ungeheuren Bürgersteigen, mit den wie Seen so breiten Fahrdämmen füllte sich unten mit dieser ständigen Woge, die in allen Richtungen von strahlenwerfenden Wagenrädern durchschnitten, von schwarzen Punkten, den Menschen, bevölkert wurde; und die beiden Brunnen rieselten, verströmten kühle Frische in dieses glutheiße Leben.
Erbebend rief Claude:
»Ach, dieses Paris … Uns gehört es, man braucht es nur zu nehmen.«
Alle vier gerieten in Begeisterung, rissen die vor Begierde leuchtenden Augen auf. War das nicht der Ruhm, der von der Höhe dieser Avenue über die ganze Stadt wehte? Paris lag dort, und sie wollten Paris.
»Na schön! Wir werden es uns nehmen«, bestätigte Sandoz mit seiner eigensinnigen Miene.
»Weiß Gott!« sagten Mahoudeau und Jory schlicht.
Sie hatten sich wieder in Bewegung gesetzt, sie strolchten noch herum, waren plötzlich hinter der MadeleineKirche, streiften durch die Rue Tronchet. Schließlich gelangten sie auf den Place du Havre, da rief Sandoz aus:
»Aber wir gehen doch zu Baudequin?«
Die anderen wunderten sich. Tatsächlich! Zu Baudequin gingen sie also.
»Was haben wir heute für einen Tag?« fragte Claude. »Na, Donnerstag … Fagerolles und Gagnière müssen schon da sein … Gehen wir zu Baudequin!«
Und sie gingen die steile Rue d’Amsterdam hoch. Sie waren soeben quer durch Paris gewandert, das war eine ihrer großen Lieblingstouren; aber sie hatten noch andere Routen, mitunter von einem Ende der Quais zum anderen, oder ein Stück der Befestigungsanlagen entlang, von der Porte SaintJacques bis Les Moulineaux, oder auch ein Abstecher zum PèreLachaise45, auf den noch ein Umweg über die äußeren Boulevards folgte. Sie liefen die Straßen, die Plätze, die Kreuzungen ab, sie trödelten ganze Tage umher, solange ihre Beine sie tragen konnten, als hätten sie die Viertel eines nach dem anderen erobern wollen, indem sie ihre dröhnenden Theorien gegen die Fassaden der Häuser schleuderten; und das Straßenpflaster schien ihnen zu gehören, das ganze von ihren Schuhsohlen festgetretene Straßenpflaster, und von diesem Boden, auf dem seit alters so mancher Kampf ausgetragen worden war, stieg ein Rausch auf, der ihre Müdigkeit trunken machte.
Das Café Baudequin lag am Boulevard des Batignolles an der Ecke der Rue Darcet. Ohne daß man wüßte warum, hatte die Schar dieses Café zum Versammlungsort erkoren. Sie kam dort regelmäßig am Sonntagabend zusammen; außerdem hatten diejenigen, die am Donnerstag gegen fünf Uhr frei waren, die Gewohnheit angenommen, dort um diese Zeit für einen Augenblick aufzukreuzen. An diesem Tage waren bei dem schönen Sonnenschein alle Tischchen draußen unter der Markise von einer doppelten Reihe von Gästen besetzt, die den Bürgersteig versperrte. Aber den jungen Leuten graute vor diesem engen Beieinandersitzen, vor dem Zurschaustellen in der Öffentlichkeit; und sie drängten sich durch die anderen hindurch, um in das menschenleere, kühle Gastzimmer hineinzukommen.
»Nanu! Fagerolles ist ja ganz allein!« rief Claude.
Er war an ihren angestammten Tisch hinten links gegangen und drückte einem schmächtigen, blassen Burschen die Hand, dessen Mädchengesicht von spöttischschmeichlerischen grauen Augen, in denen Stahlfunken aufblitzten, erhellt wurde.
Alle setzten sich, man bestellte Bockbier, und der Maler fuhr fort:
»Weißt du, ich wollte dich bei deinem Vater abholen … Der hat mich aber hübsch empfangen!«
Fagerolles, der das Benehmen eines Schlägers und Ganoven zur Schau trug, schlug sich auf die Schenkel. »Ach, der geht mir auf die Nerven, der Alte! – Ich habe mich heute früh aus dem Staube gemacht, weil es wieder Zank gab. Verlangt er doch von mir, daß ich was für seine Zinksudeleien zeichne! Also ob nicht schon genug Zink von der Ecole des BeauxArts
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