Das Werk - 14
Wände zurücktreten, immer gerade in dem Augenblick, wenn man nicht darauf gefaßt ist. Ich sagte mir: Das ist aus, es stimmt vielleicht überhaupt nicht, daß sie durch das Atelier geschritten ist … Und nun sind Sie da, und das freut mich, oh, das freut mich riesig!«
Lächelnd und verlegen wandte Christine den Kopf, tat nun so, als schaue sie sich um. Ihr Lächeln verschwand, die wilde Malerei, die sie dort wiederfand, die flammenden Skizzen aus dem Süden, die schrecklich genaue Anatomie der Aktbilder, das alles ließ sie wie beim ersten Mal zu Eis erstarren. Sie wurde wieder von echter Furcht ergriffen und sagte ganz ernst und mit veränderter Stimme:
»Ich störe Sie, ich werde wieder gehen.«
»Aber nein! Aber nein!« rief Claude und hinderte sie, vom Stuhl aufzustehen. »Ich bin schon ganz verblödet bei der Arbeit, es tut mir gut, mit Ihnen zu plaudern … Ach, dieses verdammte Bild, das quält mich schon genug!«
Und aufblickend betrachtete Christine das große Bild, dieses Gemälde, das damals zur Wand umgedreht war und das zu sehen sie sich vergeblich gewünscht hatte.
Der Hintergrund, die düstere, von einer Sonnenbahn durchbrochene Waldlichtung, war immer noch erst mit breiten Pinselstrichen angedeutet. Aber die beiden kleinen Ringerinnen, die Blonde und die Braune, die fast fertig waren, hoben sich bereits mit ihren frischen Farbtönen im Licht ab. Im Vordergrund stand es um den dreimal von vorn begonnenen Herrn immer noch nicht gut. Und besonders an der Mittelfigur, an der liegenden Frau, arbeitete der Maler: er hatte den Kopf nicht mehr in Angriff genommen, voll verbissenem Eifer arbeitete er an dem Körper, nahm jede Woche ein anderes Modell und war so verzweifelt über sein Unvermögen, sich selber zufriedenzustellen, daß er, der sich schmeichelte, nichts erfinden zu können, seit zwei Tagen nicht mehr nach der Natur, sondern aus dem Gedächtnis zu malen suchte.
Christine erkannte sich sofort. Das war sie, dieses Mädchen, das sich im Grase sielte, einen Arm unter dem Nacken, und bei geschlossenen Lidern blicklos lächelte. Dieses nackte Mädchen hatte ihr Gesicht, und eine Empörung wühlte sie auf, als hätte dieses Mädchen ihren Körper gehabt, als hätte man all ihre jungfräuliche Nacktheit dort roh entblößt. Vor allem fühlte sie sich verletzt durch die so derbe Kraßheit der Malerei, daß sie sich vorkam, als werde sie dadurch vergewaltigt, als sei ihr Schoß wund. Diese Malerei verstand sie nicht, sie fand sie abscheulich, sie empfand Haß gegen sie, den instinktiven Haß einer Feindin.
Sie stand auf, sie wiederholte mit knapper Stimme:
»Ich werde gehen.«
Verwundert und bekümmert über diesen jähen Umschwung, sah Claude ihr nach.
»Wieso, so schnell?«
»Ja, man erwartet mich. Leben Sie wohl!«
Und sie war bereits an der Tür, als er ihre Hand noch fassen konnte. Er wagte sie zu fragen:
»Wann werde ich Sie wiedersehen?«
Ihre kleine Hand wurde feucht in der seinen. Einen Augenblick schien sie zu zögern.
»Ich weiß noch nicht. Ich bin ja so beschäftigt!« Dann machte sie sich frei, sie ging und sagte sehr rasch: »Wann ich es ermöglichen kann, in den nächsten Tagen … Leben Sie wohl!«
Claude war auf der Stelle wie festgewurzelt stehen geblieben. Was? Was hatte sie denn bloß? Diese plötzliche Zurückhaltung, diese dumpfe Verärgerung? Er machte die Tür wieder zu, mit baumelnden Armen wanderte er, ohne zu begreifen, hin und her und suchte vergeblich den Satz, die Handbewegung, die sie verletzt haben mochte. Nun packte ihn der Zorn, er schleuderte einen Fluch ins Leere, zuckte furchtbar mit den Schultern, wie um diese dumme Voreingenommenheit abzuschütteln. Kannte man sich denn jemals mit den Frauen aus! Aber der Anblick des über den Rand des Wassertopfes quellenden Rosenstraußes beschwichtigte ihn, so gut duftete er. Der ganze Raum war davon mit Wohlgeruch erfüllt; und schweigend machte er sich in diesem Duft wieder an die Arbeit.
Abermals verstrichen zwei Monate. In den ersten Tagen wandte Claude beim geringsten Geräusch am Morgen, wenn Frau Joseph ihm das Frühstück oder Briefe hochbrachte, rasch mit einer unwillkürlichen Gebärde der Enttäuschung den Kopf. Er ging nicht mehr vor vier Uhr aus dem Haus, und als ihm die Concierge eines Tages bei seiner Heimkehr gesagt hatte, daß gegen fünf Uhr ein junges Mädchen nach ihm gefragt hätte, hatte er sich erst beruhigt, als er ein Modell, Zoé Piédefer, als die Besucherin erkannte. Als dann Tag um
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