Das Werk - 14
beschäftigt; dann war sie, da immer mehr Tage vergingen und sie seit fast zwei Monaten kein Lebenszeichen gegeben hatte, zu einer flüchtigen Erscheinung geworden, der man nachtrauert, einer Erscheinung mit bezauberndem Profil, das sich verliert und das man nie mehr wiedersehen soll.
»Ja, ich bin’s, Herr Claude … Ich dachte, es wäre schlecht, mich nicht bei Ihnen zu bedanken …«
Sie errötete, sie stammelte, weil sie keine Worte finden konnte. Zweifellos war sie noch außer Atem vom Treppensteigen, denn ihr Herz schlug sehr heftig. Wie? War dieser Besuch denn unpassend, den sie so lange erwogen hatte und der ihr schließlich ganz natürlich vorgekommen war? Das schlimmste war, daß sie am Quai im Vorbeigehen soeben diesen Rosenstrauß in der sinnigen Absicht gekauft hatte, diesem Burschen ihre Dankbarkeit zu bezeigen; und diese Blumen waren ihr nun schrecklich peinlich. Wie sollte sie sie ihm überreichen? Was würde er von ihr denken? Das Unschickliche all dessen war ihr erst beim Öffnen der Tür klargeworden.
Aber Claude, der noch verwirrter war, stürzte sich in eine übertriebene Höflichkeit. Er hatte seine Palette beiseite gelegt, er brachte das ganze Atelier durcheinander, um einen Stuhl frei zu machen.
»Mademoiselle, bitte, setzen Sie sich doch … Wahrhaftig, das ist aber eine Überraschung … Sie sind wirklich zu nett.«
Als sich Christine dann gesetzt hatte, beruhigte sie sich. Er war so komisch mit seinen fahrigen, weit ausholenden Gebärden, sie fand ihn selber so schüchtern, daß sie leise lächelte. Und sie hielt ihm tapfer die Rosen hin.
»Da, damit Sie wissen, daß ich nicht undankbar bin.«
Er sagte zunächst gar nichts, schaute sie gerührt an. Als er gemerkt hatte, daß sie sich nicht über ihn lustig machte, drückte er ihr beide Hände, als wollte er sie zerbrechen; dann steckte er den Strauß sofort in seinen Wassertopf und wiederholte immer wieder:
»Na, Sie sind aber ein prima Kerl! – Das ist das erste Mal, daß ich dieses Kompliment einer Frau mache! Ehrenwort!« Er kam zurück, er fragte sie und sah ihr dabei fest in die Augen:
»Wirklich, Sie haben mich nicht vergessen?«
»Sie sehen doch«, antwortete sie lachend.
»Warum haben Sie zwei Monate gewartet?«
Wiederum wurde sie rot. Die Lüge, die sie vorbrachte, machte sie für einen Augenblick wieder verlegen.
»Aber ich kann doch nicht frei über meine Zeit verfügen, das wissen Sie ja … Oh, Frau Vanzade ist sehr gut zu mir; aber sie ist gebrechlich, sie geht niemals aus dem Haus; und da sie sich um meine Gesundheit Sorgen macht, hat sie selber mich zwingen müssen, an die Luft zu gehen.« Sie erzählte nicht, wie sehr sie sich in den ersten Tagen über ihr Abenteuer vom Quai de Bourbon geschämt hatte. Als sie sich im Hause der alten Dame wieder in Geborgenheit befand, hatte die Erinnerung an die bei einem Mann verbrachte Nacht sie mit Gewissensbissen gequält wie ein Vergehen; und sie glaubte, es sei ihr gelungen, diesen Mann aus ihrem Gedächtnis zu verbannen; das Ganze war nur noch ein böser Traum, dessen Umrisse sich verwischten. Dann war, ohne daß sie wußte wie, inmitten der großen Stille ihres neuen Daseins das Bild wieder aus dem Dunkel hervorgetreten, war immer deutlicher, immer schärfer geworden, bis es die Zwangsvorstellung aller ihrer Stunden wurde. Warum also sollte sie ihn denn vergessen haben? Sie konnte ihm keinerlei Vorwurf machen. Schuldete sie ihm im Gegenteil nicht Dankbarkeit? Der Gedanke, ihn wiederzusehen, den sie zunächst von sich gewiesen, dann lange bekämpft hatte, war so in ihr zur fixen Idee geworden. Jeden Abend befiel sie in der Einsamkeit ihres Zimmers wieder die Versuchung, ein Unbehagen, über das sie sich ärgerte, ein ihr unbekanntes Begehren; und sie hatte sich nur dadurch ein wenig beruhigt, daß sie sich diese Verwirrung mit ihrem Dankbarkeitsbedürfnis erklärte. Sie war so allein, bekam so wenig Luft in dieser verschlafenen Wohnung! Die Woge ihrer Jugend wallte so stark in ihr auf, ihr Herz hatte ein so großes Verlangen nach Freundschaft! »So habe ich mir denn«, fuhr sie fort, »einfach meinen ersten Ausgang zunutze gemacht … Und dann war heute früh so schönes Wetter nach all den scheußlichen Regengüssen!«
Claude, der glücklich vor ihr stand, beichtete auch, aber ohne daß er dabei etwas zu verbergen hatte.
»Ich wagte gar nicht mehr, an Sie zu denken … Nicht wahr? Sie sind wie jene Märchenfeen, die aus der Versenkung emportauchen und wieder in die
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