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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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stellte ihm scharfe Fragen: Ob er sich etwa beim Schreiben bestechen lasse? Ob er sich nicht eher die Hand abhauen würde, als das Gegenteil von dem zu schreiben, was er dachte? Übrigens hörte man nicht zu, was er darauf antwortete, das Fieber stieg immer noch, das war der schöne Wahn, den man mit zwanzig Jahren hegt, die Verachtung für die ganze Welt, die alleinige Leidenschaft für das von menschlichen Gebrechen erlöste, wie eine Sonne über allem schwebende Werk. Was für ein Verlangen, sich zu verlieren, sich zu verzehren in dieser Glut, die sie entfachten!
    Bongrand, der bis dahin reglos dagesessen hatte, machte eine unbestimmte leidvolle Gebärde angesichts dieses unbegrenzten Vertrauens, dieser lärmenden Freude am Sturmangriff. Er vergaß die hundert Gemälde, die seinen Ruhm begründet hatten, er dachte an die Geburtswehen des Werkes, dessen Entwurf er auf seiner Staffelei zurückgelassen hatte. Und seine kleine Pfeife aus dem Mund nehmend, murmelte er mit vor Rührung feuchten Augen: »O Jugend, Jugend!«
    Bis zwei Uhr morgens goß Sandoz, der überall zugleich war, immer wieder Tee auf. Aus dem vom Schlaf ausgelöschten Viertel hörte man nur noch das Gemauze eines liebestollen Katers aufsteigen. Berauscht von Worten, redeten alle wirr durcheinander, mit rauher Kehle, mit brennenden Augen; und als sie sich entschlossen aufzubrechen, nahm Sandoz die Lampe, leuchtete ihnen über das Treppengeländer nach und sagte ganz leise: »Macht keinen Lärm, meine Mutter schläft.«
    Das dumpfe Gepolter der Schuhe auf den Treppenstufen verhallte allmählich, und das Haus versank wieder in tiefe Stille.
    Es schlug vier Uhr. Claude, der Bongrand begleitete, redete immerzu auf den menschenleeren Straßen. Er wollte nicht schlafen gehen, er wartete mit rasender Ungeduld auf die Sonne, um sich wieder an sein Bild zu machen. Dieses Mal war er sicher, ein Meisterwerk zustande zu bringen, weil er sich nach diesem in guter Kameradschaft verbrachten Tag in Hochstimmung befand, weil sein schmerzender Kopf eine ganze Welt gebären wollte. Endlich war er dahintergekommen, wie das zu malen war, er sah sich in sein Atelier heimkehren, wie man zu einer angebeteten Frau zurückkehrt, mit heftig pochendem Herzen, nun ganz verzweifelt, daß man einen Tag nicht dagewesen war, was ihm eine unendliche Vernachlässigung zu sein schien; und er sah sich stracks an sein Gemälde gehen und in einer Sitzung seinen Traum Wirklichkeit werden lassen.
    Indessen hielt ihn Bongrand alle zwanzig Schritt im flackernden Schein der Gaslaternen an einem Mantelknopf fest und wiederholte immer wieder, daß diese verdammte Malerei ein gottserbärmliches Handwerk sei. Mochte er, Bongrand, auch noch so gewitzt sein, er verstehe immer noch nichts davon. Bei jedem neuen Werk sei er ein Anfänger, manchmal hätte er Lust, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen.
    Der Himmel hellte sich auf, die Gemüsebauern begannen zu den Markthallen hinunterzuziehen.
    Und die beiden streiften weiter umher, und jeder redete sehr laut vor sich hin unter den blasser werdenden Sternen.
     

Kapitel IV
    Sechs Wochen später malte Claude eines Morgens in einer Woge von Sonnenlicht, das durch das Atelierfenster hereinfiel. Anhaltender Regen hatte die Mitte des Monats August trübselig gemacht, und Claudes Mut zur Arbeit kehrte mit dem blauen Himmel zurück. Sein großes Bild kam kaum voran, während langer, stiller Vormittage mühte er sich darum als umstrittener und besessener Künstler. Es klopfte.
    Er glaubte, es sei Frau Joseph, die Concierge, die ihm sein Mittagessen herauf brachte; und da der Schlüssel immer in der Tür steckenblieb, rief er lediglich: »Herein!«
    Die Tür war aufgegangen, und es bewegte sich leise etwas, dann war alles wieder still. Er malte weiter, ohne auch nur den Kopf zu wenden. Aber dieses bebende Schweigen, ein unbestimmter zitternder Hauch, beunruhigte ihn schließlich. Er sah hin und war starr vor Staunen: eine Frau stand da, in einem hellen Kleid, das Antlitz unter einem weißen Gesichtsschleier halb verborgen; und er erkannte sie nicht; sie hielt einen Rosenstrauß in der Hand, was ihn vollends verwirrte.
    Auf einmal erkannte er sie wieder.
    »Sie sind’s, Mademoiselle? – Freilich, an Sie hätte ich am allerwenigsten gedacht!«
    Es war Christine.
    Er hatte diesen wenig liebenswürdigen Ausruf, in dem allerdings die Wahrheit zum Ausdruck kam, nicht rechtzeitig unterdrücken können. Anfangs hatte sich sein Gedächtnis ausschließlich mit ihr

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