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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Flamme. Zunächst einmal konnte sie nicht nähen, sie führte ihre Nadel wie ein Mädchen, das in der Verachtung des Nähens erzogen worden war. Außerdem brachten dieses Stillsitzen, dieses Aufpassen, diese sorgfältig einen nach dem anderen anzubringenden kleinen Stiche sie zur Verzweiflung. Das Atelier glänzte vor Sauberkeit wie eine gute Stube; aber Claude lief weiter zerlumpt herum; und alle beide scherzten darüber, sie fanden das lustig.
    Was für glückliche Monate, diese vier Monate voller Frost und Regen, die sie im Atelier verbrachten, wo der rote Ofen bullerte wie eine Orgelpfeife! Der Winter schien sie noch mehr von der übrigen Welt abzusondern. Wenn der Schnee die Nachbardächer bedeckte, wenn Spatzen angeflogen kamen und mit den Flügeln gegen das Atelierfenster pochten, lächelten die beiden, weil sie es warm hatten und sie so weltverloren waren inmitten der großen, stummen Stadt. Und sie beschränkten sich nicht für immer nur auf diesen engen Winkel, sie gestattete ihm schließlich, sie zurückzubegleiten. Lange hatte sie allein weggehen wollen, weil der Gedanke sie quälte, was für eine Schande es für sie sein würde, wenn man sie auf der Straße am Arm eines Mannes sähe. Als dann eines Abends ein jäher Regenguß niederging, mußte sie ihn schon mit einem Schirm mit nach unten kommen lassen; und da der Regenguß sofort aufgehört hatte, als sie auf der anderen Seite der Pont Louis Philippe waren, hatte sie ihn zurückgeschickt; sie waren nur ein paar Minuten an der Brustwehr stehengeblieben und hatten beim Mail57 zugesehen, glücklich, unter freiem Himmel zusammen zu sein. Unten an den gepflasterten Straßen des Hafens reihten sich in vier Gliedern die großen Flußschiffe voller Äpfel so dicht aneinander, daß die Bretter zwischen ihnen Stege bildeten, über die Kinder und Frauen liefen; und die beiden hatten ihren Spaß an dem Durcheinanderkullern der Früchte, an den riesigen Haufen, vor denen man auf der Uferböschung kaum treten konnte, an den runden Körben, die hin und her getragen wurden, während ein starker Geruch, fast schon ein Gestank, der Geruch nach gährendem Zider, mit dem feuchten Odem des Flusses aufstieg. Als in der folgenden Woche die Sonne wieder zum Vorschein gekommen war und Claude Christine die Einsamkeit der Quais rings um die Ile SaintLouis pries, willigte sie in einen Spaziergang ein. Sie gingen den Quai de Bourbon und den Quai d’Anjou hinauf und blieben alle paar Schritte stehen, weil das Leben der Seine ihr Interesse erregte, der Schwimmbagger mit den knirschenden Schaufeln, das vom Lärm der Streitereien durchschüttelte Waschschiff, ein Kran dort hinten, der gerade eine Zille entlud. Vor allem wunderte sich Christine über folgendes: war das denn die Möglichkeit, daß dieser Quai des Ormes, der so lebendig gegenüberlag, daß dieser Quai Henri IV mit seiner riesigen Böschung, seinem Strand, an dem Horden von Kindern und Hunden sich gegenseitig auf Sandhaufen umlegten, daß dieser ganze Horizont der volkreichen und tätigen Stadt der Horizont jener vermaledeiten Stadt war, die sie in der Nacht ihrer Ankunft blutbespritzt geschaut hatte? Dann gingen sie um die Spitze, verlangsamten ihren Schritt noch mehr, um die Menschenleere und das Schweigen, das von den alten, vornehmen Häusern hier auszugehen schien, zu genießen; sie sahen zu, wie das Wasser durch den Balkenwald an der Hafensperre brodelte, sie gingen über den Quai de Béthune und den Quai d’Orléans zurück, waren einander nähergekommen beim Breiterwerden des Stroms, preßten sich eng aneinander angesichts dieses riesigen Fließens und hatten die Augen in der Ferne auf den Weinhafen und den Jardin des Plantes58 gerichtet. Am Himmel blauten Kuppeln von Monumentalbauten. Als sie an der Pont SaintLouis ankamen, mußte er ihr sagen, daß diese Kirche die NotreDame Kathedrale war, weil sie sie nicht wiedererkannte, so vom Lettner gesehen, in ihrer kolossalen Größe dahockend zwischen diesen Strebbögen, die ruhenden Tatzen glichen, und überragt vom Doppelkopf ihrer Türme über ihrem langen Rückrat, dem Rückrat eines Ungeheuers. Aber ihr großer Fund war an diesem Tage die Westspitze der Insel, dieser Bug eines ständig vor Anker liegenden Schiffes, das in der Flucht der beiden Strömungen Paris schaut, ohne es je zu erreichen. Sie stiegen eine sehr steile Treppe hinunter, sie entdeckten eine einsame, mit großen Bäumen bestandene Böschung, und das war ein köstlicher Schlupfwinkel, eine

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