Das Werk - 14
Jahreszeit Blumenmarkt abgehalten wurde, stehen, um den Duft der ersten Veilchen und der frühen Levkojen zu atmen. Links lag indessen das Ufer frei da und zog sich lang hin: jenseits der steinernen Schilderhäuschen des Justizpalastes waren die bleifahlen Häuschen des Quai de l’Horloge bis zu der Baumgruppe auf der ummauerten Erdaufschüttung zum Vorschein gekommen; je weiter sie dann kamen, traten immer neue Quais aus dem Dunst heraus, ganz in der Ferne der Quai Voltaire, der Quai Malaquais, die Kuppel des Institut de France, das viereckige Gebäude der Münze, ein langer, grauer Balken von Fassaden, deren Fenster man nicht einmal mehr unterscheiden konnte, ein Vorgebirge von Dächern, die durch die tönernen Schornsteinaufsätze einer felsigen Steilküste glichen, die sich in ein phosphoreszierendes Meer vorschiebt. Gegenüber trat hingegen der Pavillon de Flore aus dem Traum heraus, nahm festere Gestalt an im letzten Flammen des Gestirns. Dann waren da rechts, links, auf beiden Seiten des Wassers weite Ausblicke auf den Boulevard Sébastopol und den Boulevard du Palais; da waren die neuen Gebäude des Quai de la Mégisserie, die neue Polizeipräfektur gegenüber, die alte PontNeuf mit dem Tintenfleck ihres Reiterstandbilds62; da waren der Louvre, die Tuilerien, dann im Hintergrund jenseits Grenelle die grenzenlosen Fernen, die Hänge von Sèvres, die in einem Strahlengeriesel ertränkte Flur. Niemals ging Claude weiter, Christine ließ ihn stets vor der Pont Royal bei den großen Bäumen der Badeanstalt Vigier haltmachen; und wenn sie sich umdrehten, um im Gold der rot gewordenen Sonne noch einen Händedruck zu tauschen, schauten sie zurück, fanden sie am anderen Horizont die Ile SaintLouis wieder, von der sie kamen, ein verschwommenes Stück der Hauptstadt, auf das unter dem schiefergrauen Himmel im Osten die Nacht bereits übergriff.
Ach, wie viele schöne Sonnenuntergänge erlebten sie während dieses allwöchentlichen Dahinschlenderns! Die Sonne begleitete sie in dieser flirrenden Heiterkeit der Quais, das Leben der Seine, der Tanz der Reflexe auf der Strömung, die Kurzweil der wie Treibhäuser warmen Läden und die Topfblumen der Samenhändler, die Käfige der Vogelhändler mit ihrem ohrenbetäubenden Krach, dieses ganze Lärmen von Tönen und Farben, das aus dem Ufer des Wassers die ewige Jugend der Städte macht. Während sie weitergingen, nahm die feurige Glut des Sonnenuntergangs über der düsteren Linie der Häuser zu ihrer Linken eine purpurne Färbung an; und das Gestirn schien sie zu erwarten, neigte sich immer mehr, rollte langsam auf die fernen Dächer zu, sobald sie an der Pont NotreDame waren und den breiter gewordenen Strom vor sich hatten. In keinem jahrhundertealten Hochwald, auf keiner Gebirgsstraße, auf keiner wiesenweiten Ebene wird es jemals ein so sieghaftes Enden des Tages geben wie hinter der Kuppel des Institut de France. Das ist Paris, das in seinem Glorienschein einschlummert. Bei jedem ihrer Spaziergänge war die Feuersbrunst anders, fügten neue Glutherde ihre Brände dieser Flammenkrone hinzu. Als eines Abends ein Regenguß die beiden überrascht hatte, entzündete die nach dem Regen wieder zum Vorschein kommende Sonne das ganze Gewölk, und zu ihren Häupten war nur noch dieser umglutete Wasserstaub, der blau und rosa schillerte. An den Tagen mit wolkenlosem Himmel dagegen stieg die Sonne gleich einer Feuerkugel majestätisch in einen ruhigen Saphirsee hinab; einen Augenblick wurde sie zum Teil von der schwarzen Kuppel des Institut de France verdeckt, so daß sie aussah wie ein abnehmender Mond; dann wurde die Kugel blaurot, ertrank auf dem Grunde des blutig gewordenen Sees. Schon von Februar an erweiterte sie ihre gekrümmte Bahn, sie fiel stracks in die Seine, die am Horizont beim Nahen dieses rotglühenden Eisens zu kochen schien. Aber die großen Bühnenausstattungen, die großen Zauberdarbietungen des Weltenraums flammten nur an wolkigen Abenden auf. Je nach der Laune des Windes brandeten Schwefelmeere gegen Korallenklippen, brannten übereinandergeschichtete Bauten, Paläste und Türme, stürzten ein und ließen durch ihre Breschen Lavaströme entweichen; oder auf einmal durchdrang das bereits verschwundene, hinter einem Dunstschleier untergegangene Gestirn diesen Wall nochmals mit einem solchen Ansturm von Licht, daß Funkenpfeile aufsprühten, von einem Ende des Himmels zum anderen losschnellten, sichtbar wie ein Schwarm goldener Bogengeschosse. Und die Dämmerung
Weitere Kostenlose Bücher