Das Werk - 14
kam, und die beiden gingen auseinander mit diesem letzten Flimmern in den Augen, sie fühlten, daß dieses sieghafte Paris teilhatte an ihrer Freude, die sie nicht ausschöpfen konnten, die sie bei diesen Spaziergängen längs der alten steinernen Brustwehren immer wieder von neuem gemeinsam empfinden würden.
Eines Tages geschah schließlich das, was Claude, ohne je darüber zu sprechen, schon lange befürchtete. Christine schien nicht mehr anzunehmen, daß ihnen jemand begegnen könnte. Wer kannte Christine denn schon? Sie würde so durchkommen, ewiglich unbekannt. Er dachte an die Kumpel und zuckte mitunter leicht zusammen, wenn er von fern den Rücken irgendeines Bekannten auszumachen glaubte. Ein Gefühl der Scham quälte ihn; der Gedanke, man könne Christine angaffen, sie ansprechen, vielleicht zum besten halten, verursachte ihm unerträgliches Unbehagen. Und ausgerechnet an diesem Tage stieß er, als sie sich eng an seinen Arm schmiegte und sie sich beide der Pont des Arts näherten, unvermutet auf Sandoz und Dubuche, die die Stufen der Brücke herunterkamen. Unmöglich, ihnen auszuweichen, man stand einander fast gegenüber; übrigens hatten seine Freunde ihn zweifellos erblickt, denn sie lächelten. Sehr blaß ging er immer noch weiter; und er dachte, alles sei verloren, als er sah, wie Dubuche eine Bewegung auf ihn zu machte; aber schon hielt ihn Sandoz zurück, führte ihn weg. Sie gingen mit gleichgültiger Miene vorüber, sie verschwanden im Hof des Louvre, ohne sich auch nur umzudrehen. Beide hatten soeben das Original jenes Pastellkopfes erkannt, das der Maler mit der Eifersucht eines Liebhabers verborgen hielt. Christine, die sehr fröhlich war, hatte nichts bemerkt. Claude, dessen Herz in großen Schlägen pochte, war die Kehle wie zugeschnürt, als er ihr antwortete; der Takt seiner beiden alten Gefährten rührte ihn zu Tränen, und er strömte über vor Dankbarkeit.
Ein paar Tage später gab es eine neue Aufregung für ihn. Da er Christine nicht erwartete, hatte er sich mit Sandoz verabredet; als sie dann doch herauf gerannt kam, um eine Stunde bei ihm zu verbringen und ihm eine jener Überraschungen zu bereiten, die sie beide so entzückend fanden, hatten sie ihrer Gewohnheit gemäß gerade den Schlüssel abgezogen, da wurde mit der Faust vertraulich gegen die Tür geklopft. Sofort erkannte Claude diese Art, sich zu melden, und war so verstört über dieses Zusammentreffen, daß er einen Stuhl umriß: unmöglich nun, nicht zu antworten. Aber sie war bleich geworden, sie flehte ihn mit entgeisterter Gebärde an, und den Atem anhaltend, verharrte er reglos. Es wurde weiter gegen die Tür geschlagen. Eine Stimme rief: »Claude! Claude!« Er rührte sich immer noch nicht, rang jedoch mit sich, seine Lippen waren weiß, seine Augen klebten am Boden. Großes Schweigen herrschte, Schritte gingen die Treppe hinunter, die hölzernen Stufen knarrten dabei. Die Brust war ihm schwer von unendlicher Traurigkeit, er fühlte, wie sie bei diesen sich entfernenden Schritten schier zersprang, als hätte er die Freundschaft seiner ganzen Jugend verleugnet.
Eines Nachmittags klopfte es indessen wiederum, und Claude hatte nur noch Zeit, voller Verzweiflung zu murmeln:
»Der Schlüssel steckt!«
Tatsächlich hatte Christine vergessen, den Schlüssel abzuziehen. Entsetzt stürzte sie hinter den Wandschirm, ließ sich auf den Bettrand fallen, preßte sich das Taschentuch auf den Mund, um das Geräusch ihres Atmens zu ersticken.
Es wurde heftig gegen die Tür gehauen, Gelächter erscholl, der Maler mußte »Herein!« rufen.
Und es wurde ihm noch unbehaglicher, als er Jory erblickte, der galant Irma Bécot hereinführte. Seit vierzehn Tagen hatte Fagerolles sie ihm abgetreten oder hatte sich vielmehr aus Furcht, sie ganz und gar zu verlieren, mit dieser Laune abgefunden. In einer solchen Brunst stürzte sie sich mit ihrer Jugend in alle möglichen Ateliers, daß sie jede Woche mit ihren drei Hemden umzog, und wenn sie auch für eine Nacht wieder zurückkehren sollte, falls ihr das Herz danach stand.
»Sie wollte dein Atelier besichtigen, und ich bringe sie dir her«, erklärte der Journalist.
Aber ohne zu warten, ging sie ganz ungezwungen im Raum umher und rief laut:
»Oh, wie komisch das hier ist! – Oh, was für eine komische Malerei! – Na, seien Sie mal nett, zeigen Sie mir alles, ich will alles sehen … Und wo schlafen Sie denn?«
Claude war angst und bange, daß sie den Wandschirm wegschieben könnte.
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