Das Werk - 14
geblieben. Sie konnte sich nicht an die wahrheitsgetreue Nacktheit der Aktstudien, an die rohe Wirklichkeit der in der Provence gemachten Skizzen gewöhnen, fühlte sich verletzt, angewidert. Vor allem verstand sie nichts davon, weil sie groß geworden war in der zärtlichen Liebe und der Bewunderung für eine andere Kunst: die feinen Aquarelle ihrer Mutter, diese Fächer von traumhafter Zartheit, auf denen lila Pärchen inmitten bläulicher Gärten schwebten. Oft noch hatte sie selber sich zu ihrem Spaß an kleinen Schülerinnenlandschaften versucht, an zwei oder drei immerzu wiederholten Motiven: ein See mit einer Ruine, eine vom Wasser eines Flusses getriebene Mühle, ein Schweizerhaus und weiß beschneite Tannen. Und sie wunderte sich: war es möglich, daß ein intelligenter Bursche so vernunftwidrig, so häßlich, so falsch malte? Denn sie fand diese Wirklichkeit nicht nur ungeheuerlich und abscheulich, ihrem Urteil nach stand sie auch außerhalb jeder statthaften Wahrheit. Kurzum, er mußte verrückt sein.
Eines Tages wollte Claude unbedingt ein kleines Skizzenbuch sehen, ihr altes Skizzenbuch aus Clermont, von dem sie ihm erzählt hatte. Nachdem sie sich lange gesträubt hatte, brachte sie es mit, weil sie sich im Grunde geschmeichelt fühlte und lebhafte Neugier empfand, zu erfahren, was er wohl sagen würde. Er blätterte lächelnd in dem Büchlein; und da er schwieg, murmelte sie als erste:
»Sie finden das schlecht, nicht wahr?«
»Aber nein«, antwortete er, »das ist harmlos.«
Das Wort kränkte sie trotz des gutmütigen Tons, der es liebenswürdig machte.
»Freilich habe ich von Mama nur wenig Unterricht bekommen! – Ich möchte, daß Malerei gut gemacht ist und daß sie gefällt.«
Da brach er offen in Gelächter aus.
»Geben Sie zu, daß meine Malerei Sie krank macht! Ich habe es gemerkt, Sie kneifen die Lippen zusammen, vor Entsetzen machen Sie große Augen … Na klar, das ist keine Malerei für Damen, noch weniger für junge Mädchen … Aber Sie werden sich daran gewöhnen, das liegt nur an der Erziehung des Auges; und Sie werden sehen, daß das, was ich mache, sehr gesund und sehr anständig ist.«
Tatsächlich gewöhnte sich Christine nach und nach daran. Mit künstlerischer Überzeugung hatte das zunächst nichts zu tun; um so weniger, als Claude mit seiner Verachtung für Urteile von Frauen sie nicht für seine Gedanken zu gewinnen suchte und es im Gegenteil vermied, mit ihr über Kunst zu sprechen, als wollte er diese Leidenschaft seines Lebens für sich behalten, außerhalb der neuen Leidenschaft, die über ihn hereinbrach. Allein sie gewöhnte sich allmählich daran, sie empfand schließlich Interesse für diese scheußlichen Gemälde, als sie sah, welche überragende Stellung sie im Dasein des Malers einnahmen. Das war die erste Stufe für sie, sie war bewegt über diese Arbeitswut, diese unbedingte Hingabe eines ganzen Seins: War das nicht rührend? Steckte darin nicht etwas sehr Gutes? Als sie dann die Freuden und die Leiden wahrnahm, die ihn nach einer guten oder einer schlechten Sitzung umwarfen, kam sie von selber dazu, an seinen Anstrengungen teilzuhaben. Sie wurde traurig, wenn sie ihn traurig antraf; sie wurde heiter, wenn er sie heiter empfing; und von da an war ihre Hauptsorge: Hatte er viel gearbeitet? War er mit dem zufrieden, was er seit ihrem letzten Wiedersehen gemacht hatte? Nach zwei Monaten war sie erobert, stellte sie sich vor die Gemälde hin, hatte keine Angst mehr vor ihnen, billigte immer noch nicht diese Art zu malen, begann aber Künstlerausdrücke nachzusagen, erklärte, das sei »kräftig, toll hingebaut, gut im Licht«. Er erschien ihr so gut, sie liebte ihn so sehr, daß sie, nachdem sie ihm vergeben hatte, solche Greuel gemalt zu haben, mit der Zeit Vorzüge an ihnen entdeckte, um sie auch ein wenig zu lieben.
Allerdings war da ein Bild, das große, das für den nächsten Salon, bei dem sie lange brauchte, bis sie es gelten ließ. Die Aktstudien aus dem Atelier Boutin und die Skizzen von Plassans betrachtete sie bereits ohne Mißfallen, als sie sich noch immer über die im Grase liegende nackte Frau ärgerte. Das war ein persönlicher Groll, die Scham, daß sie einen Augenblick geglaubt hatte, sich selber wiederzuerkennen, ein heimliches Verlegensein angesichts dieses großen Körpers, über den sie weiterhin gekränkt war, obwohl sie an ihm immer weniger ihre Züge wiederfand. Zunächst hatte sie sich dagegen verwahrt, indem sie die Augen abwandte.
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